Liest man ein Buch, das in der eigenen Stadt spielt, legt sich eine unsichtbare Landkarte auf die altbekannten Wege. Einen ähnlichen Eindruck vermittelt der virtuelle Stadtplan im smarten Telefon.

Das Institut für Vergleichende Literaturwissenschaft und die Wienbibliothek bringen diese zwei Phänomene zusammen. "Viennavigator" soll ein literarisches Navigationssystem Wiens werden. Literaturzitate, die in der Stadt verortet werden können, sollen in einer digitalen Karte Einzug finden; genauso wie für Schriftsteller biografisch wichtige Plätze. Kommende Woche wird diese Literaturverortung bei einer Tagung vorgestellt und diskutiert.

Literatur berge Informationen, die mit klassischen Methoden der Philologie nicht erfassbar seien, die aber mit Volltextsuche und digitalen Karten systematisch zugänglich werden, erklärt Literaturwissenschaftlerin Christine Ivanovic, die mit dem Institutsvorstand Norbert Bachleitner "Viennavigator" ins Leben rief.

Da die Zitaten-Karte eine Zeitachse hat, würde sie außerdem Auskunft über die Stadtentwicklung geben. Eine grundsätzliche Frage stellt sich: Ob Literatur ein Informationssystem sein kann und will. Das Literatur-Navi könnte jedenfalls im Tourismus und im Literatur-Unterricht Anwendung finden, sagt Bachleitner. Etwa könnte man per GPS am Handy die literarische Vergangenheit seines aktuellen Standortes ausforschen.

Es gehe für die Literaturwissenschafter um einen "geotemporalen Überblick", aber auch um spezielle Aspekte wie etwa, "welchen Effekt schnellere Transportmittel auf das Thema des Flaneurs hatten", sagt Komparatist Matthias Leihs, der mit seiner Lehrveranstaltung "Mapping Literature" den Anstoß zu dem Projekt lieferte. Untersucht wird das " Verhältnis der Texte zum Georaum" und wie diese Beziehungen anschaulich gemacht werden können.

Bachleitner interessiert zudem die Weiterentwicklung in Richtung Open Source. Jeder könnte somit auf Zitate verweisen oder selbst neue Texte schreiben. Der "Viennavigator" ist noch in Planung, könnte aber den Grundstein zu einer ganzen virtuell-literarischen Hauptstadt legen. (Julia Grillmayr/DER STANDARD, 19. 9. 2012)