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Ein iPhone stellt Fragen. Grundsätzliche Fragen.

Foto: reuters/galbraith

Das iPhone ist nicht cool. Das iPhone ist bescheuert. Gierig. Indiskret. Das dachte ich mir, als ich Herrn Roitner gegenübersaß. Herr Roitner und das iPhone - das passt zusammen wie ein Meidlinger Eckwirtshaus und Molekularküche. Dennoch wollte er mein 3GS, das ich bereits seit Monaten auf diversen Online-Märkten inseriert hatte. Tadellos in Schuss, keine Kratzer, 150 Euro. Ideal für Studenten, dachte ich mir.

Es meldeten sich ein hysterischer Tiroler ("Ich überweis das Geld sofort!" - das Geld kam nie) und unzählige "Du haben iPhone? Was letzter Preis?"-Wegelagerer. Einige kündigten sich an, ließen mich aber vergebens warten. Besser, dachte ich mir, ich behalte das Ding - und erspare mir weitere Mitmenschen.

Kommunikationsprobleme

Dann war wochenlang Stille - bis Herr Roitner anrief. Seine Stimme klang wie ein Eimer voll rostiger Konservendosen. Zwischen all dem Krächzen und Rasseln filterte ich heraus, dass er bereits am nächsten Tag von Felixdorf nach Wien fahren wollte, um das Handy abzuholen. Als ich ihm die Adresse durchgab, waren alle Bewohner meines Hauses über unseren Plan informiert: Herr Roitner war schwerhörig. Sehr schwerhörig.

Zum vereinbarten Zeitpunkt blieb die Türklingel stumm. Erst eine halbe Stunde später meldete sich Herr Roitner per Telefon, er sei bei der U-Bahn-Station ausgestiegen und wisse nicht mehr weiter. Hinweise, wo er denn stehe, konnte er nicht geben: "Wissen S', ich seh so schlecht." Brüllend dirigierte ich den Schwerhörigen bis zu meiner Wohnung - und war ziemlich geladen. Nein, ich war unfassbar sauer. Nicht nur ein Zeitdieb war da unterwegs zu mir, sondern einer, der sich langsam bis in meinen inneren Kern, bis zu meinem Mitgefühl durchbohrte. Das war nicht gut.

Hightech trifft Realität

Aus dem Lift kam dann noch immer nicht Herr Roitner, sondern die Spitze eines Blindenstocks. An ihm hing eine Statur, durch die ein einstmals stolzer Mensch durchschimmerte. Die Schultern nach vorn gebeugt, die Brust unter dem Karohemd eingesunken, das schmale Gesicht von einem viel zu großen Baseball-Käppi verschattet - das alles stak auf kurzen, überraschend energischen Beinen, die in Trippelschritten dem Blindenstock folgten.

Doch hinter den dicken Brillengläsern schwommen aufmerksame, gewitzte Augen. Ich mochte ihn. Mochte diesen Mann, den Pensionär aus Felixdorf, der sich schnaufend an meinen Küchentisch setzte und mit seinen schwieligen Händen das iPhone befingerte. Warum bloß? Warum kauft sich der Mann nicht einfach ein Null-Euro-Ding? Warum diese frivol-schicke Hightech-Maschine?

"Mein Bettnachbar im AKH hatte so eines, da sieht man alles so gut, das wollte ich immer schon haben", beantwortete er die nie gestellten Fragen. Wie zum Beweis fischte er behutsam einen silbernen Quader aus der Kunstledertasche - ein Uralt-Nokia. "Wissen S', ich muss seit meinem Schlaganfall jeden zweiten Tag ins AKH fahren. Das war die Folge von meinem Kehlkopfkrebs. 200 Bestrahlungen, da hat's die Hauptschlagader auch erwischt." Was man auf so eine Kurzbiografie sagt? Nichts. Nichts Substanzielles zumindest, außer "Schrecklich" und "Furchtbar". Aber der Mann wollte kein Mitleid, er wollte bezahlen. Ich hingegen wollte ihm helfen. Wollte Apple und Roitner, den Multifunktions-Golem und den Schlaganfallpatienten zusammenbringen. Den Traum vom iPhone wahr werden lassen. Irgendwie.

Unsicheres Passwort

Ich steckte seine SIM-Karte in das 3GS und ließ das Gerät hochfahren. Dann machte ich mich daran, alle Voreinstellungen so anzupassen, dass der Mann sofort lostelefonieren konnte. Doch zuerst kam die Via Dolorosa des iPhone-Newbies: das Startmenü. Die Sprache war noch leicht auszuwählen, doch der Menüpunkt "Apple-ID anlegen" wollte so gar nicht in Roitners Leben passen. Er hatte keine E-Mail-Adresse, keinen Internetanschluss. Ich sagte: "Lassen Sie's, kaufen Sie sich ein einfaches Gerät ohne Firlefanz." Doch er erzählte wieder vom tollen Handy seines Bettnachbarn.

Also legte ich ihm "für später einmal" eine E-Mail-Adresse an und schob ihm ein erstes Post-it mit den Zugangsdaten hinüber. Dann bastelte ich eine Apple-ID samt Passwort ("Fehler: Unsicheres Passwort, eine Ziffer und ein Großbuchstabe müssen enthalten sein"!). Diese Infos notierte ich auf einem zweiten Post-it. Herrn Roitners Kopf mit den paar grauen Fusseln obendrauf sackte immer tiefer Richtung Karohemdbrust. Trübe, etwas verstört hefteten sich seine Augen auf die Tischplatte.

Heikle Fragen

Dann kam der Menüpunkt "Passwort-Erinnerung". Stumm switchte ich zwischen den Fragen, die zur Auswahl standen: "Name deines Lieblingslehrers?", "Wann war dein erstes Konzert?", "Wie lautet deine Glückszahl?", "Wie heißt dein bester Freund?" Wer erfindet solche idiotischen Fragen?, dachte ich mir und blickte Herrn Roitner ein paar Sekunden an. Welche konnte ich ihm stellen, ohne ihn noch tiefer in Trübsal versinken zu lassen?

"Wie war denn der Name Ihres Lieblingslehrers, Herr Roitner?", brach es aus mir heraus. Seine Brillengläser starrten mich groß und leer an. Blöde Frage, klar, ein Mann seiner Generation hat keine Lieblingslehrer. Damals gab's nur Despot und weniger Despot. Also die Frage nach dem besten Freund? Er lächelte. Ich lächelte - und war bereit, einen Franz, Otto oder Herbert einzutippseln. "Ich hab nur noch einen Freund, das ist mein Hund. Die Cora. Mit der leb ich beisammen, seit meine Frau gestorben ist. Cora mit C", diktierte der alte Mann.

Beinahe geschafft

Alsdann, Apple Inc. in Cupertino, California, United States of America: Schling auch das noch hinunter. Für dich sind das bloß ein paar Bytes. Für Herrn Roitner der Mittelpunkt seines Lebens. Der Startbildschirm erschien am Display. Geschafft. Oder zumindest beinahe: Denn als es ans Bezahlen ging, meinte Herr Roitner, dass er momentan nicht genügend Geld habe. Er lasse das Handy jedoch bis zum nächsten Monatsersten bei mir. Sobald seine 700 Euro Pension am Konto seien, würde er das iPhone abholen.

Ich nahm das, was er in seiner schmalen Geldbörse bei sich hatte, und führte ihn zur Tür. Zufrieden tappste er los. Heim Richtung Felixdorf. Heim zu Cora mit C. (Stefan Schlögl, derStandard.at, 21.9.2012)