Supernackt auf dem Weg zum eigenen Körpergefühl.

Foto: Blaine Davis

Nackte Körper auf der Bühne sind im zeitgenössischen Tanz keine Neuheit mehr. Wie ist es mit ausschließlicher, ununterbrochener Nacktheit auf der Bühne? Ob sie Heiner Goebbels Ausspruch bedienen kann, den der Steirische Herbst als eine Art Motto ausgewählt hat? Für eine starke künstlerische Erfahrung bräuchten wir die Begegnung mit etwas, das wir noch nicht kennen, beispielsweise einem "ungesehenen Bild".

Dem diesjährigen Leitmotiv des Festivals - "Die Wahrheit ist konkret" - kommen sechs splitternackte Frauen auf der Bühne jedenfalls auf ihre Art nahe. Oder doch nicht?

Denn so einfach macht Young Jean Lee, koreanisch-amerikanische Regisseurin mit Wohnsitz New York, es dem Publikum nicht. Ihre einstündige Untitled Feminist Show, die sechs Stars aus dem Theater-, Tanz- und Neo-Burlesque-Untergrund des Big Apple im Evaskostüm vereint, spielt mit der Rolle des weiblichen Körpers. Indem Identitäten frei gewechselt und ausprobiert werden, werden soziale Geschlechterkonstruktionen hinterfragt: Nicht alle Darstellerinnen auf dieser Bühne definieren sich selbst als weiblich.

Da das Thema Feminismus ein wortreich ausgebreitetes ist, kann es irritieren, dass die Untitled Feminist Show ein beinahe wortloses Werk ist. Auch die Bühne ist leer, als einzige Requisiten gibt es rüschenbesetzte rosa Sonnenschirme, die sowohl als Beiwerk in kindlich-verrückten Tänzchen als auch als Gewaltwerkzeuge eingesetzt werden. Um die Definition des in diesen Tagen komplexer denn je wirkenden Begriffs Feminismus geht es Lee auch nicht: "Rather than make a feminist argument, we wanted to create a utopian feminist experience", sagt die Leiterin der Young Jean Lee's Theater Company, die ihre Stücke stets in Zusammenarbeit mit ihrer Besetzung entwickelt.

Die sechs Protagonistinnen, die die ganze Bandbreite weiblicher Körperformen repräsentieren, loten Identität und Geschlechternormen aus, indem sie unter einer Videoprojektion von kaleidoskopisch-abstrakten Formen in verschiedene Rollen und Stimmungen schlüpfen: Sie werden zu Märchenhexen und Monstern, Hausfrauen, jungen Mädchen und sexuellen Wesen. Tanz(solos) und Pantomime, Gesang und Performance inklusive Publikumskonfrontation ergeben zur Musik zwischen Klassik und Elektronik eine humorvolle und emotionale Show, die zum Denken anregt und zum eigenen Körpergefühl zurückführt. "They are generally having a great time in their own skin", schreibt die Kritikerin Wendy Rosenfield über die Performerinnen, und dieses Gefühl scheint sich auf das Publikum zu übertragen: "Makes me feel more comfortable in my own skin", sagt eine New Yorker Zuseherin, "makes you happy to be alive and happy to have a body" eine andere. Beim Steirischen Herbst ist die Show als Erstaufführung im deutschsprachigen Raum zu sehen. (Sabina Zeithammer, Spezial, DER STANDARD, 28.9.2012)