Bild nicht mehr verfügbar.

Nicht jedes Gebet ist gut!

Foto: DPA/AP; Montage Der Standard

"Wer betet, wird sicher gerettet; wer nicht betet, geht sicher verloren." Diesen Satz gab Papst Benedikt den Gläubigen bei seiner ersten Generalaudienz nach der Sommerpause mit. Eine unachtsame Äußerung infolge notorischer Überarbeitung kann man nach der Erholungsphase wohl ausschließen. Im Gegenteil.

Diese holzschnittartige These wirft so ziemlich alles über den Haufen, was als gesichertes Gut katholischer Theologie gilt. Nicht jedes Gebet ist gut! Es gibt auch missbräuchliche Kampfgebete. Gebete, mit denen man sich über andere erheben möchte. Im Übrigen gilt: "Wir wissen nicht, worum wir in rechter Weise beten sollen." (Vgl. Röm 8,26)

Und die Nichtbeter? Für einen Agnostiker ist ein Gebet im christlichen Sinn gar nicht möglich, weil er kein Gegenüber erkennt. Ist er deshalb vom ewigen Heil ausgeschlossen? Mit dem letzten Konzil kann man hier ein klares Nein formulieren!

Es ist wohl auf die journalistische Unaufmerksamkeit des zu Ende gegangenen Sommers zurückzuführen, dass dieses Zitat nicht zu mehr Aufregung geführt hat. In diesem Falle hätte aber der römische Pontifex vermutlich jenes Rückzugsmanöver angetreten, das er schon gut eingeübt hat.

Das Zitat ist nämlich nicht seine eigene Schöpfung, sondern eine Aussage des hl. Alfons Maria von Liguori. Wie schon bei seiner unglücklichen Islam-Verunglimpfung im Rahmen seiner Regensburger Rede könnte er sich professoral darauf zurückziehen, dass er ja nur zitiert habe.

Wir sind damit bei einem Aspekt der Lehrtätigkeit des amtierenden Papstes angelangt, den einer seiner großen Kritiker als "Unterstellungstechnik" identifizierte. Hermann Häring, der wie kein anderer Benedikts Theologie analysiert hat, arbeitete mehrfach heraus, wie Ratzinger häufig nur durch Zitate, Fragestellungen oder bloßes In-den-Raum-Stellen Schlussfolgerungen suggeriert, die er selbst so nicht ausgesprochen hat.

In diesem Fall ist es ebenso: Der Papst sagt an keiner Stelle, dass Nichtbeter der Hölle anheimfallen, er lässt aber dieses Zitat unwidersprochen wirken. Noch dazu mit der Autorität eines Heiligen unterlegt. In diesem Fall ist die Ratzinger'sche Unterstellungstechnik vielleicht besser als Propagandatechnik zu bezeichnen. Einmal mehr ist mit Bedauern zur Kenntnis zu nehmen, wie ein Mann der Bildung mit gefährlichen Vereinfachungen versucht, einer fundamentalistischen katholischen Massenseele Nahrung zu geben.

Die Berufung auf das Zitat eines Heiligen ist zudem theologisch nicht tragfähig. Denn die Heiligsprechung einer Person bedeutet ja nicht, dass alles und jedes, was diese Person tat oder sagte, automatisch auch richtig, wichtig oder nachahmenswert wäre. Oder sind jene Aufrufe zum Kreuzzug richtig gewesen, die vom hl. Bernhard von Clairvaux stammten? Oder stimmt vielleicht die These des hl. Thomas von Aquin, wonach sich die Frau zum Mann wie das Unvollkommene zum Vollkommenen verhält?

Schade: Das Thema Gebet, das spirituelle Einschwingen in die Fülle des Lebens, hätte es verdient, umsichtig und sensibel behandelt zu werden. Komisch, dass dabei gerade ein Papst eine Themenverfehlung begeht.

PS: Der Mediensprecher der Bischofskonferenz, Paul Wuthe, hat auf den letzten Blog reagiert. Auf der Plattform kirchenfinanzierung.katholisch.at wird nun nicht mehr behauptet, dass die spärlich präsentierten Zahlen tatsächlich die "Finanzgebarung der Katholischen Kirche" darstellen.

Meine Formulierung, dass es sich dabei um "eine so vorsätzliche Irreführung" handelt, "dass man es auch als Lüge bezeichnen kann", hat dadurch ihre Grundlage verloren. Ein "Tarnen & Täuschen" bleibt es trotzdem.

Besonders bedauerlich: Der Wiener Erzbischof hat zwar zwischenzeitlich zur größten Diözesanreform seit Joseph II. aufgerufen, sein feudales Mensalgut wird aber nicht in die Strukturreform einbezogen. Die wirtschaftlichen Gewinne sind ja substanziell. Sie machen vermutlich mehr als eine Million Euro jährlich aus (ich nannte ja zuletzt nur einen kleinen Ausschnitt, nämlich die öffentlich dokumentierte Dividende aus dem Bankgeschäft). Diese Gelder sind dem Unterhalt des Bischofs gewidmet. Nicht dass ich vermute, dass er diese Gelder für sich verprasst (von dieser Einschätzung ausdrücklich ausgenommen: die fürstliche Residenz). Unverständlich ist, warum er sie vor der diözesanen Familie, der er Zwangsbeiträge auferlegt, versteckt.

PPS: Im Übrigen bin ich der Meinung, dass die Verantwortung der Päpste und des Vatikans am internationalen Missbrauchsskandal geklärt werden muss. Der derzeitige Papst hat bisher lediglich zur Schuld einzelner Priester und Bischöfe Stellung genommen. Zu den Vorgängen innerhalb der vatikanischen Mauern fand er kein Wort. Benedikts beharrliches Schweigen dazu macht ihn als Papst unglaubwürdig.

PPPS: Den nächsten Blog-Eintrag gibt es am 15. Oktober. (Wolfgang Bergmann, derStandard.at, 1.10.2012)