Foto:

Bekenner-Kommuniqués sind mit Vorsicht zu genießen - aber die Handschrift der Attentatsserie am Mittwoch in Aleppo passt zur Jabhat al-Nusra, die laut Site (einer Organisation, die extremistische Websites überwacht) noch am selben Tag die Verantwortung übernommen hat.

Die Nusra ist seit Februar 2012 ein Faktor in der syrischen Gemengelage. Ende Jänner trat die "Beistands-Front für die Menschen von Sham", wie sie mit vollen Namen heißt (al-Sham steht für einen großsyrischen Raum), mit einer Bekanntgabe ihres Programms - Kampf gegen das Assad-Regime und seine Anhänger, aber nicht gegen unbeteiligte Zivilisten - erstmals in Erscheinung. Mitte Februar kam der erste große Bombenanschlag mit etwa dreißig Toten: wie am Mittwoch in Aleppo und ebenfalls gegen Gebäude, die mit der syrischen Armee in Zusammenhang standen.

Seitdem verübt sie große Bombenanschläge, sie hat sich jedoch auch zur Entführung und Ermordung von Personen bekannt, so etwa des TV-Moderators Mohammed al-Said oder einer Gruppe von Soldaten in Deir az-Zor.

Die genauen Ursprünge der Gruppe liegen im Dunkeln, das heißt, es gibt unterschiedliche Meinungen dazu, ob sie anfangs rein syrisch oder von Beginn an ein internationales jihadistisches Projekt war. Heute wird sie zu den in Syrien tätigen Al-Kaida-affiliierten Gruppen gezählt. Laut dem irakischen Außenminister Hoshyar Zebari schließen sich ihr irakische Al-Kaida-Mitglieder an. Die Idee, dass "al-Sham", also ein fiktives historisches Großsyrien von Palästina bis zum Westirak zu "befreien" sei, um als Grundlage eines arabischen islamischen Staates zu dienen, wurde tatsächlich vom Jordanier Abu Musab al-Zarkawi propagiert, dem Führer Al-Kaidas im Irak, der 2006 von US-Truppen getötet wurde.

Ganz im Unterschied zur Gruppe Zarkawis richten sich die Angriffe der Nusra-Front aber tatsächlich, wie angekündigt, gegen Ziele, die etwas mit dem Regime zu tun haben (was nicht heißen soll, dass keine Zivilisten zu Schaden kommen). Seit dem Tod von Osama Bin Laden und der Herausgabe von Dokumenten danach weiß man, dass in der Al-Kaida-Führung ein Prozess der Selbstkritik im Gange war: Denn die Grausamkeiten gegen Zivilisten im Irak hatten im Grunde zur Niederlage des jihaditischen Projekts geführt, denn die irakischen sunnitischen Stämme, die zuerst mit Al-Kaida zusammengearbeitet hatten, wandten sich unter anderem deshalb wieder von ihr ab.

Zu ihrer Ideologie gehört dennoch der Hass auf alles, was nicht sunnitisch ist: auf Schiiten und auf die heterodoxen Alawiten, denen die Zugehörigkeit zum Islam völlig abgesprochen wird. Mit der Freien Syrischen Armee will die Nusra auch nichts zu tun haben, denn diese ist bereit, mit Ungläubigen - den USA und anderen - zu kooperieren. Für die Jihadisten ist der Kampf gegen das Assad-Regime aber nur der erste Schritt. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 5.10.2012)