Brandauer über Österreich: "Man spielt über die Bande."

Foto: Christof Mattes

Alexandra Föderl-Schmid sprach mit ihm über Gefährdungen der Demokratie.

Standard: Warum ist dieses Erinnern wichtig, gerade in Österreich? Oder ist es gerade in Österreich wichtig?

Brandauer: Erinnern ist eine Grundbedingung für unsere Existenz, weil nur durch Erinnerung wissen wir, dass wir sind und wer wir sind! Natürlich ist es in Österreich besonders wichtig, ich habe immer öfter den Eindruck, dass hier nicht nur das Langzeit-, sondern auch das Kurzzeitgedächtnis schlecht funktioniert. Die Texte, die wir am Sonntag lesen, sollen es schaffen, beides zu aktivieren! Die Dinge sind ja nur scheinbar weit weg von uns, das kann immer wieder passieren, überall.

Standard: Die Ermordung von Olof Palme, Anna Lindh, das Massaker von Oslo. Ist das weit weg?

Brandauer: Nein und vielleicht doch! Solche Katastrophen können wachrütteln, aber die Probleme sind viel breiter und viel näher! Darüber müssen wir nachdenken und reden. Deswegen sind diese Texte von heute so wichtig, weil sie uns dafür sensibilisieren können, was für ein kostbares Gut unser Leben, unsere Freiheit ist, und wie schnell das gefährdet sein kann. Es ist schwer über dieses Thema zu reden, aber das darf kein Grund sein, es nicht zu tun. Ich weiß, dass man da schnell als Gutmensch betrachtet wird. Sei es drum. Es braucht das Nachdenken über die Hintergründe, die Frage nach den Ursachen, die Einordnung in den Zusammenhang. Die Medien leisten das kaum noch, da habe ich immer wieder den Eindruck, wir befinden uns in einer Art Kriegszustand.

Standard: Inwiefern?

Brandauer: Alles was passiert wird zum Ereignis, zum Skandal, die Zusammenhänge geraten aus dem Blick, es gibt eine Sucht nach Aktualität, nach der neuen Meldung, die blutiger ist als die nicht mehr ganz so neue. Früher gab es Kriege mit klar verteilten Rollen, heute ist der Feind unsichtbar. Daraus wächst eine große Unsicherheit, wer ist eigentlich der Gegner, der Feind? Wer hat den Film über Mohammed gedreht? War der bestellt? Das muss sich jemand fragen, der mit theatralischen Mitteln umgeht.

Standard: Inwieweit fließen diese Wahrnehmungen in Ihre Figuren ein, etwa in Dorfrichter Adam aus Kleists "Zerbrochnem Krug"?

Brandauer: Es fließt ja in jede Rolle meine ganze Persönlichkeit ein, anders geht es nicht. Ich spiele den Adam als jemanden von heute, weil ich von heute bin, die Freiheit muss ich mir nehmen! Die Aufgabe hat ja jeder, sich in die Gesellschaft einzubringen, mit all seinen Ideen, Wünschen und Erfahrungen. Wenn man sagt, diese Welt ist so schrecklich, das weiß ich schon aus Büchern, lasst mir doch meinen Schrebergarten, dann ist das auch eine Haltung, aber zu kurz gedacht. Es ist gewiss nicht einfach bewusst und kritisch zu bleiben, aber nötig. Ein aufmerksames Mitglied dieser Gesellschaft zu sein fällt immer schwerer, aufgrund der vollkommen unübersichtlichen Vielfalt der Angebote. Dabei fühle ich mich oft gar nicht gut genug informiert.

Standard: Was fehlt Ihnen in den Medien?

Brandauer: Klarheit. Wenn ich derzeit ein Stück zur österreichischen Innenpolitik machen sollte, dann müsste ich sagen, da ist alles im Nebel. Trotz des medialen Angebots haben viele das Gefühl, wir haben keine Wahl. Doch das ist nicht richtig, man muss Mut haben. Beim Thema Europa zum Beispiel. Dass Europa die Lösung und nicht das Problem ist, muss man in Österreich nicht erklären, trotz aller Schwierigkeiten.

Standard: Ich glaube, in Österreich erst recht.

Brandauer: Bei der Volksabstimmung vor dem EU-Beitritt waren fast zwei Drittel dafür. Die haben mit guten Gründen dafür gestimmt, und ein Großteil dieser Gründe trägt nach wie vor.

Standard: Sehen Sie jetzt eine positive EU-Stimmung in Österreich?

Brandauer: Natürlich ist die Einstellung mehrheitlich positiv. Und wenn man nicht ständig irgendwelche Teilaspekte ins Rampenlicht schieben würde ohne das Gesamtbild zu würdigen wäre die Zustimmung noch größer. Man spielt über die Bande, wie so oft in diesem Land.

Standard: Warum wird das in Österreich zu wenig gesehen?

Brandauer: Wir lassen uns zu viel gefallen. Nehmen wir den Untersuchungsausschuss. Es war gar nicht geplant, dass da etwas herauskommt. Die Sache ist noch nicht zu Ende und darf das auch nicht sein. Wir leben doch in einem Rechtsstaat, es geht um die Demokratie. Österreich hat etwas besseres verdient, als das, was jetzt politisch statt findet.

Standard: Sind Sie ein Optimist? Noch immer?

Brandauer: Ich kann nicht anders. Die Leute müssen Druck machen und die Medien müssen den weitergeben. Es geht nicht um die Meldung, sondern um Inhalte. In den USA gibt es "C-Span", in Deutschland den Sender" Phoenix". Man kann sich Politik live anschauen. Wie im Theater: Live. Das bringt ganz andere direkte Eindrücke, die man verarbeiten kann. Und dann Verantwortung übernehmen, im Großen, wie im Kleinen, alles ist Politik. Zynismus ist der falsche Ausweg!
(Alexandra Föderl-Schmid, DER STANDARD, 6./7.10.2012)