Horst Wein, Fußballpädagoge.

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Der Fußball hat eine Fähigkeit, Menschen zu berühren, wie kaum eine andere Sache dieser Welt. Eine Fußball-WM oder EM scheint die ganze Welt zu "synchronisieren". So verfolgen etwa Spanier, Deutsche, Iraner, Chilenen, Japaner sowie Schweizer und Österreicher gleichzeitig dasselbe Spiel, diskutieren die Entscheidungen der Schiedsrichter und freuen sich über eine gelungene Aktion "ihrer" Mannschaft. Aber der Fußball kann uns auch wertvolle Denkanstöße für ein gutes Leadership liefern.

In einem immer komplexeren Unternehmensumfeld gibt es - ähnlich wie im Fußball - unzählige Möglichkeiten, ein bestimmtes Problem bzw. eine bestimmte Situation zu lösen. Standardlösungen oder einfache Erfolgsrezepte haben in einer solchen Umgebung ausgedient. Die Spielintelligenz (=Problemlösungsintelligenz) - also die Fähigkeit "häufig richtig zu handeln" - wird zum zentralen Erfolgs- und Überlebensfaktor. Analysieren wir die Voraussetzungen für Spielintelligenz am Beispiel von Xavi Hernandez, dem Mittelfeld-Regisseur beim FC Barcelona. Er agiert vorzugsweise im zentralen Mittelfeld, aber auch in Tornähe. Bevor er den zugespielten Ball annimmt, weiß Xavi bereits, wie seine Folgeaktion aussieht. Als intelligenter Spieler versteht er es, das Spiel in jede Phase nicht nur richtig zu "lesen", sondern er besitzt darüberhinaus auch die technischen Fertigkeiten, die mental vorbereitete Lösung motorisch erfolgreich umzusetzen.

Vier Phasen

Wir können also feststellen, dass in jeder Aktion mindestens vier Phasen zu durchlaufen sind, bevor man den Erfolg erleben kann. Es fängt mit der Phase der Wahrnehmung an, die übergeht in eine Phase des Einordnens und Verstehens der Situation. Das alles zusammen mündet in die Entscheidungsfindung, bevor schließlich die mental vorbereitete Aktion motorisch ausgeführt wird.

Um die Herausforderungen der Zukunft erfolgreich meistern zu können, benötigen wir auf allen Positionen Mitarbeiter, die selbständig in der Lage sind, Problemstellungen im Kontext ihrer Aufgabe erfolgreich zu lösen. Das in vielen Unternehmen vorherrschende Führungsverständnis verhindert die Entwicklung dieser Problemlösungsintelligenz. Nach wie vor fokussiert unsere Führungsarbeit vor allem auf Instruieren, Lehren, Anweisen und Kontrollieren. Wenn Führung bedeutet, die persönliche Entwicklung von Menschen zu fördern, dann muss es zur zentralen Führungsaufgabe werden, ein Umfeld zu schaffen, in dem sich Mitarbeiter eben optimal entwickeln können und vor allem dürfen. Dabei wird es zur Kernherausforderung die richtige "Spielfeldgröße", also den richtigen Rahmen für die Führungskräfteentwicklung zu definieren. So wie neunjährige Kinder mit einem Spiel "elf gegen elf" völlig überfordert sind und keine Spielintelligenz entwickeln können, so ist es auch Nachwuchsführungskräften nicht möglich, an zu schwierigen und komplexen Aufgaben Führungsintelligenz zu erwerben.

Letztendlich braucht Führung aber auch Leidenschaft und harte Arbeit. Betrachtet man die beiden Top-Trainer Guardiola und Mourinho, so könnten ihre Charaktere und ihre Führungsstile unterschiedlicher nicht sein. Was beide aber gemeinsam haben, ist eine unglaubliche Leidenschaft für den Sport. Das Streben nach Perfektion, die Auseinandersetzung mit jedem noch so unwichtig erscheinenden Detail, ist ein ganz zentraler Schlüssel zum Erfolg. (Horst Wein, derStandard.at, 9.10.2012)