Das Gedächtnis des Fußballpublikums in Österreich ist erstaunlich kurzlebig, seine Launen sprunghaft. Wer einen Beweis dafür braucht, sieht sich einfach die allgemeine Stimmung in Foren zum unerfreulichen Unentschieden des Nationalteams in Kasachstan an. Vor dem Spiel gab es eine große Euphorie. Die WM-Teilnahme wurde fast schon zur Pflicht ausgerufen. Nach dem Spiel ist eh wieder alles egal. Da könne halt auch ein guter Trainer nichts daran ändern, dass Österreich einfach nicht die richtigen Spieler hat.

Weder die Spieler noch der Trainer in Österreich sind in Wahrheit zu schlecht für eine Qualifikation zu einer Endrunde. Man sollte aber nicht vergessen, in welcher Stufe der Entwicklung sie sich gerade befinden. Als Koller vor nicht einmal einem Jahr die Mannschaft übernommen hat, war aufmerksamen Beobachtern klar, dass das für die WM-Qualifikation eine enge Sache werden würde. Zu lange hatte der ÖFB an seinem Vorgänger festgehalten. Man wusste: Einem neuen Trainer würde deshalb unter normalen Umständen zu wenig Zeit bleiben, um einer Mannschaft all das einzutrichtern, was in den Jahren davor versäumt wurde.

Das realistische Ziel hieß deshalb: Österreich muss an der Europameisterschaft 2016 teilnehmen. Könnte das Team die WM 2014 mitnehmen, dann wäre das ebenso schön wie sensationell.

Gute Bilanz und Entwicklung

Der Schweizer hat die Führung über die Mannschaft jetzt gerade einmal für sieben Spiele. Kasachstan war erst das zweite Bewerbsspiel seiner Amtszeit. Er macht seine Arbeit bislang gut, die Weiterentwicklung der Mannschaft ist deutlich zu sehen. Die Bilanz ist ordentlich: Drei Siege, zwei Remis, zwei Niederlagen. Kasachstan bot das erste Ergebnis, das eher unter den Erwartungen war. Natürlich wäre auch hier ein Sieg leistungsgerecht gewesen. Ihn verlässlich zu erzwingen, benötigt mehr Reife, als das ÖFB-Team schon besitzt.

Die bisherigen Leistungen haben die Erwartungen hoch geschraubt und vergessen lassen, was auch der Trainer immer wieder betont hat: Es wird Rückschläge geben. Denn die Lernkurve, die eine junge Mannschaft auf dem Weg aus dem internationalen Nichts nach oben benötigt, lässt sich nicht dauerhaft überbieten. Man müsse auch dann am eingeschlagenen Weg festhalten, nicht wie bisher in Panik verfallen und alles über den Haufen werfen.

Einfacheres und Schwierigeres

Während die nicht banalen aber einfacheren Übungen - das schnelle Umschalten und eine giftige reaktive Spielweise gegen gute Gegner - erstaunlich schnell gelernt wurden, werden die schwierigeren Lektionen naturgemäß länger dauern. Dazu gehört es auch, eine gleichwertige (wie irgendwas zwischen Irland und Schweden) oder auch schwächere (aber deshalb nicht wehrlose, wie Kasachstan) Mannschaft nicht nur zu dominieren, sondern auch zu knacken. Für effiziente Dominanz ist viel mehr Detailarbeit am individuellen Rollenverständnis und der kollektiven Stilsicherheit gefragt, als beim Konterspiel.

Natürlich: Koller muss beweisen, dass er dem Team auch das beibringen kann. Bei den Erwartungen an ihn bracht man nicht tiefstapeln, das Potential von Fußball-Österreich nicht kleiner machen, als es ist. Wer aber nach nicht einmal einem Jahr seriöser Arbeit und sieben Spielen erwartet, dass dieser Prozess bald abgeschlossen wäre, der erhebt Wunder zur Erwartungshaltung.

Als Didi Constantini sieben Spiele im Amt war, schrieb ich hier über die EM-Qualifikation 2012: "Auch ob man die nächste Quali schafft ist nicht so wichtig, wenn die Art zu scheitern Zukunft hat". Sie hatte wie wir heute wissen keine Zukunft, deshalb muss man diesen Satz leider heute für seinen Nachfolger und dessen Team recyceln und ebenso ernst meinen. Einzig die Vorzeichen stehen schon wesentlich besser.

Publikum zwischen Manie und Depression

Aber nicht nur das österreichische Nationalteam muss Dinge dazu lernen, auch das Publikum muss seine Berg-Talfahrt aus Euphorie und kompletter Selbstzerfleischung irgendwann beenden. Denn die Mentalität der Öffentlichkeit spielt auch eine Rolle dabei, ob im Fußballverband kontinuierlich und professionell gearbeitet werden kann. Im Hintergrund sind immer noch Funktionäre am Werken, die das Duo Koller-Ruttensteiner lieber heute als morgen wieder los wären - und das nicht unbedingt zugunsten von besseren Alternativen.

Eine ganz sachliche Ernüchterung ist nach dem Astana-Remis also für jene angebracht, die das ÖFB-Team davor schon auf absoluter Augenhöhe mit der Weltspitze vermutet haben, Zynismus und Resignation hingegen für niemanden. Beim Nationalteam hat sich viel getan im vergangenen Jahr, es muss sich im nächsten noch mehr tun. Aber das was man bei Kollers Amtsantritt für realistisch halten durfte, hat sich nicht geändert. Auch wenn manche es schnell vergessen. (Tom Schaffer, derStandard.at, 13.10.2012)