Ein weiteres verpflichtendes Kindergartenjahr und mehr Anreize für die Staatsbürgerschaft wünscht sich Sebastian Kurz. 

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Standard: Sie haben Ministerin Claudia Schmied öffentlich kritisiert, bei Integrationsfragen säumig zu sein. Sie hat Ihnen daraufhin vorgeworfen, Sie hätten sie nicht kontaktiert. Warum nicht?

Kurz: Wir waren zu all den Themen in Kontakt. Aber es gibt Bereiche, bei denen sie nicht zu Gesprächen bereit war, etwa beim Thema Deutsch vor Schuleintritt. Ich bin froh, dass das jetzt passiert. Wir werden uns am Mittwoch treffen.

Standard: Uneinig sind Sie dar über, ob es eigene Deutschlernklassen geben soll. Schmied fürchtet "Ghettoklassen". Berechtigt?

Kurz: Ich finde die Diskussion scheinheilig: Dass heute in Österreich doppelt so viele Ausländer in den Sonderschulen sitzen wie im Regelschulsystem, stört niemanden. Aber ein Vorschuljahr, um Deutsch zu lernen, soll eine "Ghettoklasse" sein? Ich fordere außerdem ein verpflichtendes zweites Kindergartenjahr für alle, die nicht gut Deutsch können.

Standard: Der Expertenbeirat im Innenministerium widerspricht: eigene Klassen seien nicht zielführend. Sprechen Sie sich nicht ab?

Kurz: Unser Expertenrat arbeitet erst an einem Bildungspapier, das war eine von vielen Meinungen, die im Rahmen einer Enquete geäußert wurden. Wir sollten die Diskussion entkrampfen.

Standard: Laut dem Wiener Integrationsbericht stieg die Bildungsbeteiligung vor allem türkischstämmiger junger Menschen deutlich an. Überrascht Sie das?

Kurz: Wenn all die Initiativen wie etwa das Jugendcoaching keine Wirkung gezeigt hätten, wäre das ja Wahnsinn. Ich glaube nur, wir reparieren sehr viel im Nachhin ein, aber wir investieren wenig in Frühförderung.

Standard: Glauben Sie, dass Lehrer dafür richtig ausgebildet sind?

Kurz: Nein, es braucht definitiv einen Schwerpunkt auf das Thema Integration bei der Lehrerausbildung.

Standard: Trotz guter Ausbildung arbeiten 43 Prozent der Migranten als Hilfskräfte.

Kurz: Ja, das stört mich. Wir müssen viel besser werden bei der Anerkennung im Ausland erworbener Qualifikationen.

Standard: Besonders Migrantinnen haben es schwer auf dem Arbeitsmarkt. Was wollen Sie dagegen tun?

Kurz: Wir müssen auch in der Bewusstseinsbildung vorankommen. Es gibt immer noch sehr viele, die kulturell der Meinung sind, Frauen sollten nicht arbeiten.

Standard: Konservative ÖVP-Funktionäre und -Wähler zum Beispiel?

Kurz: Vorurteile sind schon was Schlimmes, oder? Ich bin auch ÖVP-Wähler und -Funktionär und finde das nicht. Es besteht Aufholbedarf bei der Erwerbstätigkeit vor allem bei türkischstämmigen Frauen.

Standard: Auch viele gut ausgebildete Migranten verlassen Österreich, weil sie in anderen Ländern bessere Chancen vorfinden.

Kurz: Das ist ein Trend. Die Türkei etwa hat ein super Wirtschaftswachstum. Aber wenn jemand wegen seiner Herkunft nicht angestellt wird, ist das verwerflich.

Standard: Ein Fünftel der Wiener Bevölkerung im wahlfähigen Alter ist nicht wahlberechtigt. Experten halten das für ein Integrationsdefizit. Wie sehen Sie das?

Kurz: Wahlrecht ist ein Staatsbürgerrecht. Und es ist ein großes Problem, dass immer weniger Menschen nach der österreichische Staatsbürgerschaft streben.

Standard: Was halten Sie von einem breiter gefassten Wahlrecht für EU-Bürger?

Kurz: Das gibt es eh auf lokaler Ebene. Unser Ziel muss sein, dass Menschen, die ihr Leben lang in Österreich leben wollen, auch ein Interesse haben, österreichische Staatsbürger zu sein. Das Wahlrecht ist eines der letzten Goodies. Sonst gibt es überhaupt keinen Anreiz mehr.

Standard: Warum ist das so wichtig, dass jemand die österreichische Staatsbürgerschaft besitzt?

Kurz: Eine Staat ohne Staatsbürger wäre irgendwie komisch, oder nicht?

Standard: Seit Jahren sorgen schwarze Innenminister dafür, dass das Fremdenrecht verschärft wird und die Zahl der Einbürgerungen rückläufig ist. Finden Sie, dass man zu lange warten muss, bis man um die österreichische Staatsbürgerschaft ansuchen darf?

Kurz: Darüber kann man diskutieren. (Julia Herrnböck, Petra Stuiber, DER STANDARD, 16.10.2012)