Bild nicht mehr verfügbar.

In der Hypnosegruppe haben die Darmsymptome deutlich abgenommen, ebenso Ängstlichkeit, Depression und psychische Beeinträchtigungen.

Foto: apa/dpa/Peter Kneffel

Das erste "Europäische Jahr gegen den Schmerz" legt ebenso wie die derzeit stattfindenden 12. Österreichischen Schmerzwochen einen thematischen Schwerpunkt auf den "viszeralen Schmerz": Der Schmerz, den in der Akutform praktisch jeder Mensch kennt und der in seiner Chronifizierung unterschätzt wird, geht von den von inneren Organen aus. Funktionelle Magen- und Darmbeschwerden sind eine besonders häufige Erscheinungsform.

Beschwerden des Verdauungsapparates, wie das Reizdarmsyndrom oder der Reizmagen, zählen zu den meist verbreiteten Erkrankungen in den ärztlichen Ordinationen und stellen in der Gastroenterologie eine der häufigsten Diagnosegruppen dar. "Allein das Reizdarmsyndrom betrifft je nach Studie zwischen zehn und 20 Prozent der Bevölkerung. In den westlichen Ländern sind in einem Verhältnis von zwei zu eins überwiegend Frauen betroffen. Aber nur 20 bis 50 Prozent der Betroffenen nehmen ärztliche Hilfe in Anspruch", weiß Gabriele Moser, Leiterin der Spezialambulanz für gastroenterologische Psychosomatik an der Universitätsklinik für Innere Medizin III, AKH/MedUni Wien.

Belastende Beschwerden, hohe Kosten

Reizdarm-Patienten leiden unter Bauchschmerzen und -krämpfen, extremen Durchfällen oder krankhaften Verstopfungen. Dazu kommen häufig weitere Beschwerden wie Sodbrennen, Fibromyalgie, Kopf- oder Rückenschmerzen und urogenitale Beschwerden. Das Reizdarmsyndrom ist häufiger bei Patienten mit anderen gastrointestinalen Erkrankungen zu finden, als bei der gesunden Normalbevölkerung. Darüber hinaus würden Reizdarm-Patienten in rund 60 Prozent der Fälle psychische Störungen aufweisen, weiß Moser: "Viele Betroffenen haben allein schon durch die lang andauernden unklaren Beschwerden Symptome einer psychischen Störung wie Depression oder Angst."

Das häufig unterschätze Leiden belastet nicht nur Betroffene, sondern auch die Gesundheits- und Sozialsysteme. So konnte in einer großen US-Studie gezeigt werden, dass Reizdarm-Patienten pro Jahr dreimal häufiger von Arbeit beziehungsweise Schule fernbleiben als beschwerdefreie Personen. Laut anderen Untersuchungen, hätten Berufstätige mit einem Reizdarmsyndrom bis zu 24 Fehltage im Jahr.

Trotz der weiten Verbreitung werde die Erkrankung häufig nach wie vor nicht ausreichend ernst genommen, kritisiert die Psychotherapeutin und Internistin: "Dass trotz quälender Beschwerden, von denen Reizdarmpatienten geplagt werden, dem Leiden lange Zeit kein ausreichender Krankheitswert beigemessen wurde, liegt wohl auch daran, dass es zu den funktionellen Erkrankungen gehört, die keine erkennbare organische Ursache haben."

Auslöser: Lebensmittel, Stress, Traumatisierung

Inzwischen haben die Experten aber zunehmend die Hintergründe des Leidens entschlüsselt: Es gibt eine enge Verbindung zwischen dem Zentralen Nervensystem (ZNS) und dem enteralen Nervensystem (ENS), auch "Bauchhirn" genannt. "Diese Erkenntnisse lassen vermuten, dass neben biologischen Prozessen auch die psychische Situation einen wesentlichen Einfluss auf Entstehung und Aufrechterhaltung des Reizdarmsyndroms hat", so Moser. "Patienten mit Reizdarmsyndrom zeigen im Vergleich zu beschwerdefreien Personen ein gesteigertes Schmerzempfinden auf Dehnungsreize im Darm." Der Schmerz kann auf eine Wahrnehmungsstörung ("viszerale Hypersensitivität") zurückgeführt werden, ohne dass eine Störung der Darmtätigkeit vorliegen muss.

Die Auslöser für die spezielle Form der Überempfindlichkeit sind ebenso individuell unterschiedlich wie vielfältig. Nicht behandelte Nahrungsmittelunverträglichkeiten, zum Beispiel gegen Laktose, können ebenso Trigger sein wie Darminfektionen, zum Beispiel durch Salmonellen, oder lang andauernde bzw. immer wiederkehrende Stresssituationen. "Dazu kommen hormonelle Einflussfaktoren, aber auch psychische, physische oder sexuelle Traumatisierungen erhöhen das Risiko, am Reizdarmsyndrom zu erkranken, solche Erfahrungen können bei bis 60 Prozent der Betroffenen als ein Faktor festgestellt werden", so Moser. Dementsprechend komme einer orientierenden psychosomatischen Diagnostik innerhalb der Anamnese ein hoher Stellenwert zu.

Eine Therapie, die all diesen Erkenntnissen gerecht werden soll, bedarf einerseits einer symptomorientierten, medikamentösen Behandlung, "andererseits sollte Betroffenen eine psychotherapeutische Betreuung angeboten werden, insbesondere wenn bisherige medikamentöse Behandlungen wenig Erfolg zeigten", so Moser. Für viele Betroffene erweist es sich auch als hilfreich, in einer Selbsthilfegruppe Unterstützung zu suchen.

Hypnose hilft oft besser als Medikamente

Neben Arzneimitteln, die direkt auf die Verstopfung oder den Durchfall wirken, haben bei Patienten mit chronischen und kaum beeinflussbaren Schmerzen Antidepressiva zur Änderung der Schmerzschwelle einen guten Erfolg gezeigt. Eine nicht minder effiziente Rolle kommt psychotherapeutischen Verfahren und Entspannungstechniken zu, vor allem dadurch, dass sie die Betroffenen dazu anleiten, Reize aus dem Körperinneren anders wahrzunehmen. Die Patienten gewinnen das Gefühl, ihre Magen-Darm-Funktionen besser kontrollieren zu können.

Zugleich lindert die Therapie auch Ängste, Depressionen und posttraumatischen Stress. Vor allem eine therapeutische Hypnosetechnik, die speziell auf den Bauch zielt, könne über Jahre hinweg die Beschwerden und Arztbesuche vermindern und die Lebensqualität steigern, so Moser: "Zahlreiche Studien haben für Einzelhypnose bereits nachgewiesen, dass sie eine der erfolgreichsten Methoden zur Behandlung von funktionellen Störungen des Magen-Darm-Traktes ist. Wir konnten in einer aktuellen Studie zeigen, dass Gruppenhypnose zusätzlich zur medikamentösen Standardbehandlung eine hocheffiziente Therapie beim Reizdarmsyndrom ist."

Die Darmsymptome hätten in der Hypnosegruppe im Vergleich zur Gruppe, die nur Standardmedikation erhielt, deutlich abgenommen, ebenso Ängstlichkeit, Depression und psychische Beeinträchtigungen. "Das ist ein für die künftige Behandlungspraxis sehr wichtiges Ergebnis, denn hypnotherapeutische Einzelsitzungen sind relativ teuer und daher für den klinischen Alltag wenig praktikabel", sagt die Internistin und Psychotherapeutin. (red, derStandard.at, 16.10.2012)