Christoph Schlingensief in Afrika.

Foto: Stadtkino / Aino Laberenz

Wien - Ein Operndorf in Afrika aufzubauen wurde für Christoph Schlingensief (1960-2010) zum wichtigsten Vorhaben am Ende seines Lebens. Auf einer 14 Hektar großen Savannenfläche nahe der Hauptstadt Ouagadougou im westafrikanischen Burkina Faso betrieb er mit letzter Kraft die Errichtung eines von Architekt Diébédo Francis Kéré geplanten Kulturzentrums mit Schule, Ateliers, Krankenstation und einem Opernhaus als Herzstück.

Sibylle Dahrendorf hat den Regisseur bei seinen Besuchen filmisch begleitet und den Fortgang des Projektes bis Mai 2012 in ihrem Film "Knistern der Zeit" dokumentiert. Der Film zeigt nicht nur die Entwicklung des konkreten Bauvorhabens von der Standortsuche bis zur ersten Eröffnung der Schule. Knistern der Zeit macht - aus der Vogelperspektive - das einsam in der staubigen Landschaft liegende Agglomerat auch als eines deutlich, das im Sinne Beuys' als soziale Plastik intendiert ist, als eine Herausforderung an Menschen, selbst "Künstler" zu sein und gestaltend auf ihre Umwelt einzuwirken. Später im Film sieht man, wie Jugendliche Filme über ihre unmittelbare Umwelt drehen.

Dahrendorf schildert das Operndorf mit Namen Remdoogo nicht als Erfolgsgeschichte, sondern als ein Werk mit vielen Bruchlinien. Auch der Gedanke, dass dies alles scheitern kann, bleibt immer aufrecht. Der Film macht auch sichtbar, dass hier zwei Kulturen die gegenseitige höfliche Befremdung zunächst einmal als gegeben hinnehmen und dann ohne große Faxen zur Tat schreiten. Es ist auch nicht auszuschließen, dass vielleicht einmal deutsche Schlingensief-Touristen auf Besuch kommen - und dann hoffentlich viel Geld mitbringen.

Ein alter Stammeskönig drückt es Schlingensief gegenüber elegant aus: "Wir verstehen Ihre Sprache nicht, aber wir sind glücklich mit Ihnen!" Noch besser hat dem Operndorf-Initiator aber wohl des Königs Satz davor gefallen: "Wir werden mit den Göttern sprechen, dass alles gut geht."

"Die Weißen kommen!"

Sibylle Dahrendorf zeigt auch bäuerliche Familien, deren Lebensraum vom Dorfbau irritiert ist. Am Ende aber wirken sie versöhnt, da die Kinder nun hier zur Schule gehen könnten.

Unterschiedliche Perspektiven fließen im Film zusammen: die eines Sängers aus dem Ensemble von Schlingensiefs Tournee-Produktion "Via Intolleranza II", der unter Druck stehende, aber immer leidenschaftliche Architekt, oder jene von Kindern, die dem Konvoi aufgeregt mit "Die Weißen kommen!" entgegenlaufen.

Christoph Schlingensief scheint diese Begegnungen zu genießen. Und als er einmal in der Dämmerung am Grundriss seines Operndorfes steht, ist er der gemachte Gesamtkunstwerker: Er sieht zum Horizont, hört den Tierlauten zu und vielleicht auch dem in vierzig Meter Tiefe liegenden Quellwasser. Und blickt dem Kameramann entgegen: "Die Wahrheit ist das Ganze, du und der andere und alles." (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 17.10.2012)