Statt zwei, ja drei Millionen Euro bescherte Il Canalettos Vedute nur Spesen.

Foto: Dorotheum/Raimo Rudi Rumpler

So zäh können drei Minuten sein: für den Auktionator, für die Experten und den Chef des Hauses sowieso. Ein Drama in mehreren Akten unter der Regie des internationalen Marktes. 180 Sekunden, die über Sensation oder Niederlage entscheiden. Der Trost vorweg: Ein Retourgeher macht noch keine Auktionswoche. Denn insgesamt liefen die in den letzten Tagen im Dorotheum abgehaltenen Versteigerungen eh ganz gut, etwa die Hälfte des Angebotes wechselte zum Gegenwert von 12,82 Millionen Euro den Besitzer. Im direkten Vergleich zur Vorjahressause entspricht das einem Rückgang von nur zwei Prozent.

Manches hatte die Erwartungen um ein Vielfaches übertroffen, etwa Bartolomeo Venetos Bildnis eines Kardinals (15.000-20.000), das sich ein hartnäckiger Telefonbieter mit 366.300 Euro (inkl. Aufgeld, Meistbot 300.000) erstritt. Emil Jakob Schindlers Blick auf Ragusa verblieb - vermutlich von der aktuellen Belvedere-Retrospektive beschmust - für 317.500 (260.000) knapp über dem Limit und damit als Weltrekord in Österreich.

Auch Friedrich von Amerlings Caritas, für die seine Köchin Katharina Modell saß, bekam ihr Quäntchen Glanz ab: 2008 hatte sich ein asiatisches Museum die erste Fassung via Sotheby's London für umgerechnet 43.240 Euro vom Markt gefischt. Nun stand die zweite Fassung zum Verkauf. Im Kinsky hatte das Gemälde jüngst abgelehnt, den Ruhm erntete das Dorotheum: Für das Doppelte der angesetzten Taxe fand es bei 122.300 Euro in Russland eine neue Heimat.

Historisches Absatztief

Den größten Umsatzanteil lieferten die Alten Meister mit 6,99 Millionen Euro, wiewohl die Verkaufsquote auf ein historisches Tief von nur 37 Prozent absackte. Nicht der einzige Wermutstropfen dieser Tage. Denn zum größten Spielverderber mutierte ausgerechnet das vermeintliche Starlot.

Dabei hatte man am Mittwochabend ja zwei oder drei potenzielle Bieter an der Angel respektive Telefonleitung. Interessenten oder als solche getarnte Ohrenzeugen, wer weiß das schon. Im Zieren herrschte jedenfalls Einigkeit. Ob auch nur ein Gebot im Raum hing, darüber lässt sich streiten. Ja, behauptet das Dorotheum. Eine Million, eine Million dreihunderttausend, das war's.

Il Canaletto fiel gnadenlos durch, ignoriert auch vom Publikum im Saal. Nicht ein Bietertäfelchen wurde gelüpft, auch kein diskretes Kopfnicken verzeichnet. Dabei hätte das auf zwei bis drei Millionen Euro geschätzte Gemälde The New Horse Guards, von Antonio Canal in den 1750ern auf Holz gemalt, zur Sensation avancieren können. Zumindest hierzulande, denn international wäre ein Besitzerwechsel in der taxierten Preisregion ohnedies nicht weiter aufgefallen, allenfalls ein Entree im Ranking der zehn höchsten Canaletto-Zuschläge (5,5 bis 24,5 Mio. Euro) weltweit registriert worden. Sollte alles nicht sein.

"Burning Money"

Obwohl der Zeitpunkt nicht mal schlecht gewählt schien: mit gleich zwei Ausstellungen in Paris, der Hommage an seine Venedigbilder im Musée Maillol (bis 10. 2. 2013) einerseits und einer Retrospektive der venezianischen Malerei von Canaletto bis Guardi im Musée Jacquemart-André (bis 14. 1. 2013) andererseits. Nur, der Dorotheums-Canaletto hätte im direkten Vergleich nicht untypischer sein können. Eine Londoner Vedute, die den Paradeplatz und damit ein charakteristisches Wahrzeichen thematisiert, dazu die diffuse atmosphärische, ja laut Dorotheum eindeutig auf William Turner verweisende Lichtstimmung. Insgesamt halt schon verflucht britisch. Burning Money, zu Deutsch: "außer Spesen nix gewesen", zumindest aus Sicht des Dorotheums. Dabei soll das Limit mangels Kaufaufträgen in den Stunden vor der Auktion mit den derzeitigen Eigentümern dem Vernehmen nach noch weiter diskutiert worden sein. Abwärts ging es von zwei auf 1, 5 Millionen. Auch das vergeblich.

Im Juli 1984 hatten die derzeitigen Besitzer das Werk bei Christie's (London) im Nachverkauf erworben. Um welchen Betrag, ist nicht bekannt, der Schätzwert hatte sich damals auf 300.000 bis 500.000 Pfund belaufen. 2007 soll man erstmals einen Verkauf in Erwägung und andere Auktionshäuser zurate gezogen haben, die Realisierung scheiterte doch an den zu hohen Erwartungen der Besitzer. War die damalige Einschätzung der Experten mit 600.000 und 800.000 Pfund bzw. umgerechnet rund 860.000 bis 1,15 Millionen Euro doch die weitaus realistischere? Vermutlich.

Kommentieren will man derlei und die von der internationalen Klientel erteilte Niederlage im Dorotheum schon gar nicht, nur so viel: Von Museumskuratoren sei die Feinheit der Arbeit bestätigt worden. Man sei überrascht, dass das Bild nicht verkauft wurde.

Nun setzt man auf Verhandlungen im Nachverkauf. Und die werden wohl gelingen (müssen): nicht so zur Linderung der Schmach des Auktionshauses als im Sinne des derzeitigen Eigentümers. Denn es ist, gerade angesichts des vom Dorotheum betriebenen Brimboriums, die letzte Chance für die nächsten fünf bis zehn Jahre. Zu Tode geworben ist eben auch verheizt. Das ist die Brutalität in den internationalen Gewässern des Kunstmarktes. (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 20./21.10.2012)