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Dirk Stermann ist bekannt aus der Late Night Show "Willkommen Österreich".

Foto: APA/HERBERT PFARRHOFER

DER STANDARD-
Schwerpunktausgabe Österreich

Immer noch kann ich mich seit den Olympischen Spielen nicht dazu aufraffen, Leistung zu bringen. Ich war vor den Olympischen Spielen emotionaler Bestandteil der österreichischen Mannschaft und bin medaillen- und sang- und klanglos aus England zurückgekehrt. Ich will die österreichischen Sportler seitdem nicht durch Leistung kränken. Ich hab' mich entschlossen, bis zu den nächsten Olympischen Spielen ebenfalls unter "ferner lief" aufzuscheinen. Gelebte Solidarität. Im Erfolg wie im Misserfolg: my team. "You will never walk and lose alone", das ist meine Botschaft.

Wenn Sie also von dieser Kolumne Wunderdinge erwarten sollten, muss ich Sie enttäuschen. "Ent-täuschen" ist übrigens, wenn man sich das Wort mal genauer anschaut, gar nichts so Übles. Man sieht, wie die Dinge wirklich sind und hört auf, der Täuschung Glauben zu schenken. Wenn ich Sie also hier und jetzt enttäusche, seien Sie mir dankbar.

Zum Beispiel habe ich das bestimmte Gefühl, dass ich alles, was ich bis jetzt geschrieben habe, schon einmal geschrieben hab'. Davor wahrscheinlich auch schon einmal. Wahrscheinlich, weil mein winziger Kosmos in meinem graubehaarten Kopf steckt und nicht aus seiner Begrenzung hinauskann. Wie Österreich. Österreich ist klein und in die Jahre gekommen, während die graue Donau grün und träge durch es fließt, auch matt, irgendwie. Die Alte Donau. Der wilde, aber irgendwie sinnlose Inn. St. Pölten, das selber sofort einschläft, sobald es an sich denkt oder Villach, das sich in sich selber umschaut und sich zwangsläufig fragen muss: wozu?

Erdplatten haben keinen Fahrer

Die Berge. Da hat die Erde ihre Platten ganz fest gegeneinandergepresst. So fest, dass der Boden in die Höhe stieg. Schreckliche Vorstellung. Man will keine Erdplatte sein, gegen die sich eine andere Erdplatte drückt. Worauf wir Skifahren. Als würden zwei tonnenschwere Laster gegeneinanderfahren und beide Fahrerkabinen drücken sich gegenseitig zerknautscht nach oben. Landschaft nennen wir das Ergebnis dieses brutalen Vorgangs. Dummer Vergleich, die Erdplatten hatten keinen Fahrer. Jetzt bin ich von mir selbst enttäuscht, trotz von wegen Täuschung und glauben.

Das Wasser. Mein Vater war Wassermufti. Arabische Bekannte dachten, ich sei eine Art Oasenprinz, weil mein Vater in Deutschland Chef der Stadtwerke eines sinnlosen Ortes war. In dem sinnlosen Ort war das Wasser sehr kalkhaltig und musste auf jede erdenkliche Art entkalkt werden.

Wegen Entkalkung im Exil

Mein Vater hat's mir oft erklärt, aber die Erklärung, wie man Wasser entkalken kann, war so langweilig, dass ich als Kind beschloss, irgendwann in ein Land zu ziehen, wo einem niemand tödlich öd erklären muss, wie man Wasser entkalkt. Deshalb bin ich unter anderem hier. Es gibt wahrscheinlich keinen Begriff, den ich seit 1987 häufiger benutzt habe, als "das gute Wiener Hochquellwasser". Araber und Bewohner des sinnlosen Ortes meiner Kindheit würden für so eine Wasserqualität töten.

Betrachten Sie mal einen Berliner, wenn er in Wien den Wasserhahn aufdreht und einen Schluck nimmt. Verzückung und Verwunderung. Kein chlorhaltiger Industrieabfluss wie in Italien, keine braune Ekelbrühe wie in Indien. Nein, als tränke man Gott sein Lieblingsgetränk weg, so schmeckt das gute Wiener Hochquellwasser. Dass schon die Grazer, denen, sind wir uns ehrlich, das gute Wiener Hochquellwasser mehr zustünd' als den wasserkopfigen Wienern, deutlich schlechtere Brunnen anzapfen müssen, ist einer, aus Wiener Sicht, der Vorteile des praktischen Zentralismus im theoretischen Föderalismus.

Als Oasenprinz und Wassermufti würde meine Liste der Topgründe, warum Österreich ein Spitzenland ist, ungefähr so aussehen:

  1. Das gute Wiener Hochquellwasser
  2. Attersee
  3. Kernöl

Kernöl, das fällt auch mir auf, passt nicht ganz in die Liste. Und Attersee hab' ich nur geschrieben, weil ich im Sommer erstmals in ihm schwamm und Wasser schluckte und: Als hätte mir ein Engel in den Mund gespuckt - unglaubliche Wasserqualität.

Nicht wie in Polen, wo ich bei Stettin in einem "See" schwamm neben Tausenden von ungeborenen Kindern. Was ich für Quallen gehalten hatte, waren Dutzende gebrauchter Kondome. 60, 70. Vielleicht ein nachkommunistisches GangBang oder ein einzelner Zuchtpole? Tatsächlich waren die Kondome noch das wasserähnlichste in diesem "See".

Ich gebe zu, dass in Kanada auch eine gewisse Qualität da ist, was Wasser betrifft. Aber so gut das Wasser ist, so unangenehm sind die anderen Badegäste in Kanada. Wann immer ich in Kanada in einen See gehen wollte, schwamm mir ein Bär entgegen.

Kärnten, so lang ist das her

Das hab' ich übrigens auch einmal in Kärnten gedacht. Ich schwamm in einem See. Ein paar Jahre ist das her. Damals dachte man noch, die Hypo sei eine Bank, Haider ein Landeshauptmann und die FPÖ eine Partei. So lang ist das her.

Herr Gusenbauer war damals Bundeskanzler und nahm an einem Triathlon teil, weil er dem bungeejumpenden Haiderjörg Paroli bieten musste. Er trug eine Badehose aus den frühen 1960er-Jahren, der Bundeskanzler. Hellblau war sie und bis zum Bauchnabel hochgezogen. Der Rest war Fell. Vorn und hinten war der Bundeskanzler voller Fell. Ich läutete sicherheitshalber mit einem Glöckchen, das hatte ich in Kanada gelernt. Der Bär will ja nichts tun. Wenn man ihn durch Klingeln rechtzeitig warnt, rennt er weg, der Bundesbär.

Das war am Belo jezero oder am Boroveljsko pregradno jezero, ich weiß es nicht mehr. Ich kenne nur die slowenischen Namen der Kärntner Seen, weil mir eine Frau aus Laibach alles beigebracht hat, was man im Wasser können muss. Und das ist viel mehr, als man glaubt.

In Kernöl zu baden könnte ich mir auch vorstellen. Dann wär meine Prostata grün und schwarz und kerngesund. In einem kleinen Land wie Österreich ist eine vergrößerte Prostata nämlich relativ größer und beängstigender als, sagen wir mal, in Kanada.

Wenn irgendwann mal meine Prostata vergrößert sein sollte, werde ich Österreich verlassen. Richtung China, Brasilien, Russland. Irgendwohin, wo sie nicht so auffällt. Bis dahin aber bin ich am liebsten hier. Wo die Donau schlapp nach Osten schwappt und die Menschen mühsam auf Berge klettern, um einmal runterzuschau'n. (Dirk Stermann, DER STANDARD, Rondo, 25.10.2012)