Jean-Baptiste Camille Corot: "Der Quai des Pâquis in Genf", Öl auf Leinwand, 1825.

Foto: Arp-Museum

Nicht lang ist es her, da schloss in Wien die beste Ausstellung der letzten Jahre. Im Belvedere hatten sie Carl Schuch gegeben und mit ihm einen perfekten Eindruck dessen, was Realismus ist. Realismus ist der stets aufs Neue prekäre Versuch, eine Interferenz herzustellen zwischen dem, was die Welt ist, und dem, was das Bild ist: Zu vermitteln zwischen Lebendigkeit, Ganzheit, Ausschnitt - zwischen Motiv und Methode. Natürlich kann man dem Problem aus dem Weg gehen und die Fläche herausstellen und die Eigenwertigkeit der Farbe. Speziell die Franzosen haben so gearbeitet und damit jene Komplexitätsreduktion auf den Weg gebracht, die man Modernismus nennt.

Camille Corot ist Franzose. In der Kunsthalle Karlsruhe erfährt er nun seine erste Retrospektive im deutschsprachigen Raum, breit aufgefächert mit knapp 200 Werken, wie sie in mehr als fünf Jahrzehnten bis zu seinem Tod 1875 entstanden. Corot hat sich als Außenseiter gesehen, er ist Autodidakt, er hat sich den Tendenzen, wie sie aus dem Boden schossen, versagt. Natürlich hat er sich an den Haupt- und Staatsaktionen, wie sie im Pariser Salon verlangt wurden, versucht, hat sich an den Heroen Poussin und Claude Lorrain abgearbeitet und irgendwann sein ureigenes Metier gefunden: die traumverlorene, gegenweltliche, spärlich von Menschen durchzogene, aber umso idyllischere Landschaft.

Er hat als Realist begonnen. In diesem Sinn liegen die Sensationen der Karlsruher Schau ganz am Anfang, bei den Kleinformaten, die auf lapidare Weise nichts festhalten als einen Blick in die Welt. Corot war nach Italien gegangen und hat Rom von unten und von hinten untersucht. Eine wunderbare Ästhetik der Beiläufigkeit ist so entstanden, eher in der Tradition der Briten als der Franzosen, für die ein Deutscher, Johann Gottfried Herder, den Begriff gefunden hatte: Phänomenologie. Nichts war da mehr gleichgültig, denn alles wurde gleich gültig.

Von da an wurden seine Bilder größer, wenn auch nie riesig, lichthaltiger, wenn auch nie aufgelöst in Flecken. Das Jahrhundert wurde rasanter, doch kein Schlot ragt in Corots Stadtansichten und keine Eisenbahn durchmisst seine Felder. Die Frauen, die er spärlich ins Visier nimmt, sind nackt. Corot rettet sich in den Eskapismus. Das gerade macht ihn zum Vorläufer der Impressionisten, bei denen es immer hell, aber nicht grell, belebt, aber nicht massenhaft zugeht. Corot ist eine Galionsfigur der Komplexitätsreduktion. Und das war immer schon das Erfolgsgeheimnis der Künstler, auf die das Publikum steht.

Die Ausstellung zeigt Corots Kunst als Meistererzählung des Modernismus. Drei Bilder hängen nebeneinander, die dasselbe Motiv vom Gardasee zeigen: Natürlich ist das späteste das auf Oberflächenspektakel getrimmteste. Der See selber bleibt dreimal nichts als ein Vorwand für Wasser in Hügellandschaft. Zwei Bilder gibt es, die aus den Glücken im Gleichgewicht herausragen: Einmal ist eine Fabrik zu sehen, es war eine Auftragsarbeit. Und ganz spät gibt es einen Traum, so der Titel: Gezeigt wird die Vision des im deutsch-französischen Krieg niedergebrannten Paris.  (Rainer Metzger aus Karlsruhe, DER STANDARD, 25./26.10.2012)