Peter Mayr beschließt seinen Kommentar zur Standortentscheidung für das Deserteursdenkmal (Standard, 13. 10.) mit der Feststellung: "Das neue Denkmal ist eine manifeste Art geschichtlicher Richtigstellung." Auch wenn man dieser Einschätzung grundsätzlich zustimmen mag, so bleibt gleichwohl die Frage, ob denn die von Kulturstadtrat Mailath-Pokorny geäußerte Begründung für die Errichtung des Denkmals auf dem Ballhausplatz eben diesem Anspruch auf "Richtigstellung" tatsächlich genügt: Es sei der "Standort ein würdiger Ort, um im Zentrum der Stadt (... ) an jene zu erinnern, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um [!] nicht in der NS-Wehrmacht dienen zu müssen, und jene, die von NS-Militärjuristen ermordet wurden", so hieß es in der diesbezüglichen Aussendung.

Das Problem einer solchen Argumentation liegt zum einen darin, dass sie sich anmaßt, über die Motive der Deserteure offenbar mehr zu wissen als diese selbst bzw. die ihrem Handeln zugrunde liegenden Absichten einem moralischen Urteil zu unterziehen, das ex post redlicherweise niemandem zusteht. In erster Linie aber ist dieser Begründung vorzuwerfen, dass sie nicht einmal ansatzweise den "Nerv" der Denkmaldebatte trifft und deshalb in prinzipieller Hinsicht unzureichend ist.

Denn die Kernfrage ist doch wohl - vor allem mit Blick auf die geforderte "Gerechtigkeit" - die: Was sind wir, als Bürger dieses Landes und als späte Nachkommen, den durch das NS-Regime vernichteten unschuldigen Opfern heute immer noch schuldig?

Das geplante Deserteursdenkmal kannl nur dann als eine "manifeste Art geschichtlicher Richtigstellung" wahrnehmbar werden, wenn diese sich von der gebotenen Sensibilität dafür leiten lässt, worin denn das begangene Unrecht an den ermordeten - aber auch gegenüber den damals " davongekommenen" - Wehrmachtsdeserteuren bestand (und besteht). Und wenn es gelingt, dieses Unrecht in angemessener Weise zu artikulieren und sichtbar zu machen.

Schuldig, so meine ich, sind wir den Deserteuren wie auch ihren Angehörigen und ihren Nachkommen zuvorderst die entschiedene Zurückweisung der lange Zeit vorherrschenden - oder auch latent geschürten - moralischen Punzierungen als Feiglinge, Verräter, Verweigerer soldatischer Kameradschaft u. ä. - denn nur die Besinnung auf diese Kernfrage kann auch eine schiefe moralisierender Aufladung des Themas (und damit auch falsche Heroisierung) verhindern.

Eine solche notwendige Besinnung schärft zugleich den Blick für die irritierende Borniertheit, die in der Ablehnung des Wiener Deserteursdenkmals durch die FPÖ und deren Sympathisanten begegnet: Wer für diese Ablehnung eine "Denkmalinflation" anführt und sich allen Ernstes darauf beruft, dass doch "Desertieren bis zum heutigen Tage international geächtet ist", begeht bzw. bekräftigt damit im Grunde erneut jenes an den Deserteuren begangene Unrecht.

Die hartnäckige Präsenz der solcherart zutage tretenden Denkmuster in der Öffentlichkeit bestätigen somit selbst - unfreiwillig zwar, aber umso eindringlicher! - die Notwendigkeit des Deserteursdenkmals. Dieses fungiert so im öffentlichen Raum auch als ein sichtbares Zeichen des Widerstands gegen eine allem Anschein nach unbelehrbare Ignoranz, die sich nach wie vor grundsätzlichen Differenzierungen verweigert. Womit auch ihre Verächtlichmachung selbst "geächtet" wird.

Um so mehr ist von den Betreibern und Förderern differenzierender Respekt gefordert: Indem nicht nur jene "rehabilitiert" werden, die ihr Leben aufs Spiel setzten, um [!] nicht in der NS-Wehrmacht dienen zu müssen", sondern auch, jenseits moralischer Steilvorlagen, all jene, die einfach nur überleben wollten und dafür grober, herabwürdigender Ungerechtigkeit im Urteil ihrer Mit- und Nachwelt ausgesetzt waren - und dies immer noch sind. (Rudolf Langthaler, DER STANDARD, 27.10.2012)