In Israel gehört es zum politischen Alltag, dass neue Parteien aus dem Boden gestampft werden und bestehende sich spalten oder sich mit anderen zusammenschließen. Der "Urknall in der Rechten", wie israelische Medien die Entstehung einer großen konservativ-national-populistisch-siedlerfreundlichen Bewegung unter Benjamin Netanjahu und Avigdor Lieberman nannten, gibt jetzt aber Rätsel auf. Was hat den Premier, der seit den letzten Wahlen vor bald vier Jahren in den Umfragen ständig überlegen geführt hat, plötzlich bewogen, sein Schiff ins Schaukeln zu bringen, statt es sicher in den Hafen zu fahren?

Ja, das Land ist leichter zu regieren, wenn es weniger Parteien gibt. Und Netanjahu wird bei Koalitionsverhandlungen weniger erpressbar sein, wenn er einen Partner schon vor den Wahlen an sich bindet statt erst danach.

Aber es sieht nicht so aus, als würde das Manöver dem rechten Lager insgesamt einen Stimmenzuwachs bringen. Und wenn Lieberman nun praktisch auf Platz zwei des Super-Likud springt, ist das eine Art Voranmeldung auf die Netanjahu-Nachfolge. Mit einer im In- und Ausland derart umstrittenen Figur an so prominenter Stelle kann eine Partei, die staatstragend sein will und dazu einen Teil der breiten Mitte gewinnen muss, aber nicht leben. Netanjahu erwiese sich und seinem Land einen besseren Dienst, wenn er nach den Wahlen Fühler zu den Zentrumsparteien ausstrecken würde, statt sich jetzt schon rechts anzuketten. (Ben Segenreich, DER STANDARD, 27.10.2012)