Stefan Schleicher sieht die Uneinigkeit der EU-Minister, wie bei der UN-Klimakonferenz verhandelt werden soll, als schlechtes Zeichen für den Klimaschutz.

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STANDARD: Die große UN-Klimakonferenz in Doha steht vor der Tür, und es gibt kaum Entscheidungen dazu, ob das bestehende Kioto-Klimaschutzprotokoll fortgeführt oder erneuert werden soll - obwohl der Vertrag heuer ausläuft. Was ist los mit der internationalen Klimaschutzpolitik?

Schleicher: Es ist derzeit völlig unabsehbar, was in Doha passieren könnte. Auch Experten sind ratlos. Die Ausgangssituation ist völlig offen, und ob es zu einer Entscheidung kommt, hängt von der EU ab.

STANDARD: Wieso nicht von den USA?

Schleicher: Die USA haben sich vom Kioto-Protokoll ja schon verabschiedet. Die haben gesagt: Wir machen da nicht mit. Die Industrieländer in der Kioto-Gruppe sind außer der EU nur noch die Schweiz und Norwegen. Kioto wird ein europäischer Klimaklub - bestenfalls. Denn die EU hat gesagt, dass sie nur dann "Kioto 2" etablieren, wenn die USA, China und ähnliche Staaten gewisse Bedingungen erfüllen.

STANDARD: Welche Bedingungen?

Schleicher: Es ist noch Verhandlungsmasse und natürlich auch eine Strategie zur Gesichtswahrung, und zwar für alle Seiten. Die EU steht unter schwerstem Druck der Entwicklungsländer, die "Kioto 2" etabliert haben wollen. Denn Kioto ist die glaubwürdigste Strategie für ein globales Klimaabkommen, und außerdem sieht es im Rahmen der "flexiblen Mechanismen" viele Vorteile für die Entwicklungsländer vor. Das sind zwei saubere Motive für die Entwicklungsländer.

STANDARD: Aber wo bleibt die internationale Vorreiterrolle der EU?

Schleicher: Die EU ist auf mehreren Ebenen in Schwierigkeiten. Einerseits ist nicht klar, wie man die USA doch noch ins Boot holen könnte. Und die EU hat für sich intern die Bedingungen dafür gar nicht formuliert. Die EU müsste für sich eine neue, gemeinsame Strategie entwickeln, fährt jetzt aber komplett uneins nach Doha. Man konnte sich nicht einmal darauf einigen, welche Kioto-Strategie man nach außen vertreten will.

STANDARD: Was geschieht mit dem EU-Emissionshandel?

Schleicher: Der EU-Emissionshandel ist ohne Reform nicht überlebensfähig. Da 2013 so viele Zertifikate in den Markt kommen und schon jetzt viel zu viele da sind, wird sich der Preis gegen null bewegen, wenn keine Schritte gesetzt werden. Da hat die EU einen enormen Handlungsbedarf. Die Vorschläge, die da auf dem Tisch liegen, lauten, dass 2013 doch weniger Zertifikate angeboten werden als ursprünglich angekündigt. (Beim letzten Umweltministerrat kam es zu keiner Einigung, Anm.).

STANDARD: Die Industrie ist dagegen?

Schleicher: Die Industrie ist gespalten. Die Stromproduzenten, und die machen ungefähr drei Viertel aller Emissionen aus, haben relativ wenig Probleme mit dem Emissionshandel, weil sie die Kosten auf den Verbraucher überwälzen können. Die anderen sind dagegen, weil sie Wettbewerbsprobleme befürchten. Die Sache ist aber die: Wenn das Ganze zusammenfällt, würde ein zweifellos sinnvolles Instrument der Klimapolitik abhandenkommen.

STANDARD: Klimapolitik ist überhaupt nicht mehr prominent auf der politischen Agenda.

Schleicher: Ja, Klimawandel ist für die Politik derzeit kein Thema, nicht einmal bei den TV-Debatten zu den US-Präsidentschaftswahlen.

STANDARD: Die Zweifel werden ja auch lauter.

Schleicher: Wir haben derzeit keine andere Erklärungsmöglichkeit für den Klimawandel. Denn dass dieser stattfindet, wird ja von niemandem infrage gestellt. Und es gibt halt kein anderes Erklärungsmodell als das, dass die enorme Zunahme der Treibhausgase in der Atmosphäre auf das Verbrennen fossiler Energien durch den Menschen zurückzuführen ist. (Johanna Ruzicka, DER STANDARD, 29.10.2012)