Präsident Wiktor Janukowitsch kann feiern. Seine Partei der Regionen hat die Parlamentswahlen in der Ukraine überraschend deutlich gewonnen, viel deutlicher, als dies Umfragen im Vorfeld der Abstimmung und selbst die Exit-Polls direkt nach Wahlende suggerierten.

Die Opposition klagt nach ihrer Niederlage über Stimmenkauf und administrative Wählerbeeinflussung. Die Vorwürfe mögen teils gerechtfertigt sein, als Begründung für das Ergebnis taugen sie allerdings nicht, denn hier muss sich die Opposition an der Nase nehmen: Die politische Apathie in der Ukraine ist unglaublich hoch, der Glaube der Menschen an Veränderungen gering.

Die Euphorie, die 2004 nicht nur auf dem Maidan, sondern in großen Teilen des Landes zu spüren war, ist einer Ernüchterung gewichen, die dem Kater nach einer fröhlich durchzechten Nacht gleicht. Die Orange Revolution konnte die Versprechungen ihrer Anführer und die Erwartungen des Volkes nicht erfüllen. Der auf persönlichen Eitelkeiten basierende Konflikt zwischen dem damaligen Präsidenten Wiktor Juschtschenko und seiner Ministerpräsidentin Julia Timoschenko lähmte das ganze Land, verschärfte damit die wirtschaftliche Krise und unterminierte das Vertrauen der Bevölkerung in die als westlich und demokratisch geltenden Kräfte.

Die Auswirkungen dieser Vertrauenskrise sind bis heute zu spüren, zumal Timoschenko weiterhin einer der führenden Köpfe der Opposition ist: Gingen bei der Präsidentenwahl 2004 noch knapp 80 Prozent der Bevölkerung zur Wahl, waren es bei dieser Parlamentswahl weniger als 60 Prozent. Zu Hause geblieben sind vor allem die Enttäuschten der Orangen Revolution. Dementsprechend schlecht ist das Ergebnis der liberalen Opposition.

Janukowitsch schien den meisten Wählern das kleinere, weil bekannte Übel zu sein. Dabei ist die Stärkung seines Lagers für das Land alles andere als ein Segen. Die Korruption hat in den vergangenen Jahren deutlich zugenommen. Der Einfluss der Janukowitsch umgebenden Oligarchen - stellvertretend sei hier der reichste Ukrainer Rinat Achmetow genannt, der als graue Eminenz in der Partei der Regionen gilt - ist bereits jetzt gewaltig und wird nach der Wahl weiter zunehmen. Die Folgen der Klientelpolitik für die Gesamtwirtschaft sind katastrophal.

Schade ist, dass wohl auch Neueinsteiger Witali Klitschko die Angst seiner Landsleute vor politischen Experimenten zu spüren bekam. Sein Ergebnis blieb am Ende unter den Erwartungen. Wer seinen Unmut mit dem politischen Establishment zum Ausdruck bringen wollte, wählte die radikale nationalistische Partei "Freiheit".

Trotzdem wäre es nach diesem Misserfolg verfrüht für Klitschko, der politischen Arena den Rücken zu kehren. Die Ukraine braucht eine liberale Partei, die zu demokratischen Grundwerten steht. Die Liberalen aber brauchen neue, unverbrauchte Köpfe, die sich nicht in der Vergangenheit durch Macht- und Ränkespiele diskreditiert haben. (André Ballin, DER STANDARD, 30.10.2012)