Bereit zum Sprint ins Glück: Abe (Jordan Gelber) macht Miranda (Selam Blair) in "Dark Horse" bald einen Heiratsantrag.

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Der amerikanische Regisseur Todd Solondz macht Filme, die ein wenig wie Rorschachtests funktionieren. Man kann in ihnen krasse Karikaturen sehen oder aber doch präzise Studien des Alltags von Außenseitern. Ein wenig hat das sicher mit dem Genre zu tun, in dem er vorwiegend arbeitet: Solondz macht Komödien. Das war nicht immer ganz eindeutig, seit Welcome to the Dollhouse gibt es eine Menge Widerhaken in den Komödien, und Happiness und Palindromes fallen wohl insgesamt aus dieser Ordnung heraus.

In Dark Horse aber ist die Genrelogik wieder unübersehbar. Hier geht es um einen Mittdreißiger: Abe, der noch zu Hause lebt. Abe ist ein wenig in der Entwicklung steckengeblieben, er sammelt Spielzeug und arbeitet ungern. Dass sein Bruder ein erfolgreicher Arzt ist und sein Vater ein erfolgreicher Geschäftsmann, macht die Sache nicht einfacher. Abe redet sich sein Leben gern schön, andererseits werden ihm die entsprechenden Phrasen von der Popkultur vorgegeben: "Reach out for more, and make it better than it's been before."

Wenn Abe solche Parolen im Autoradio hört, dann scheint er sie ernstzunehmen. Eine gesunde Distanz zu den Angeboten aus der Unterhaltungswelt kennt er nicht. Denn Abe ist im Grunde ein reiner Tor, ein dicklicher Parzival, der mit seinem Frauenbild als Minnediener gar nicht schlecht aufgehoben wäre.

Mit dem Titel seines Films spielt Todd Solondz auf einen Begriff aus dem Pferderennsport an: Das "dark horse" ist dasjenige, das lange wie der sichere Verlierer aussieht, das auf jeden Fall nicht zu den Favoriten zählt und mit dem niemand rechnet. Es setzt sich erst allmählich durch, seine Domäne ist der späte Sprint. Abe sieht nicht aus, als könnte er gut sprinten. Aber auch er weiß, wie man beschleunigt. Als er die depressive Miranda kennenlernt, macht er ihr nicht erst lange den Hof, sondern drängt bald auf Verehelichung.

Bei Filmen wie jenen von Todd Solondz, die im Grunde aus einer Abfolge von "awkward moments" bestehen, kommt es sehr darauf an, dass der Protagonist genau das richtige Maß an Bewusstsein hat: Er muss beschränkt genug sein, um in all die peinlichen Situationen zu geraten, er muss aber auch wenigstens unwillkürlich etwas von dem verstehen, was vorgeht.

Jordan Gelber, bisher vorwiegend am Broadway hervorgetreten, macht das in Dark Horse ganz vorzüglich. Er spielt zwar einen einfältigen Mann, aber so, dass Abe immer auch als eine der klassischen Verweigererfiguren gesehen werden kann, und zwar in einer doppelten Weise: Er entzieht sich dem Perfektionsdiktat (das Christopher Walken brillant und fies verkörpert), und er entzieht sich (hier wird die Ironie schön scharf) gewissermaßen ins Innere der kulturindustriellen Kompensationsangebote. Familie und System wollen infantile Subjekte. Ergo Abe!

Im Gesamtwerk von Todd Solondz gehört Dark Horse eher zu den konventionelleren Arbeiten, fügt sich aber vorzüglich ein. Das radikale Meisterwerk Palindromes wagt deutlich mehr, und noch sein davor letzter Film Life during Wartime war in seinen vielfachen Verbindungen zum Solondz-Kosmos (der dort auch viel eindeutiger als jüdisch geprägt erscheint) ein Puzzlestück in einer großen Untersuchung, was es mit diesem Leben auf sich hat, von dem es in Amerika ja zur Verfassungsideologie gehört, dass es dem "pursuit of happiness" zu widmen ist.

Solondz hingegen sieht dieses Leben konsequent aus der Außenseiterperspektive, jener der Unglücklichen und nicht selten der eines Begehrens, das Skandal macht und Unglück schafft. Damit rührt er an Tabus, schafft einen seltsamen Surrealismus, der eben diesen Kippeffekt in seinem Filmen erzeugt: Man findet wenig Halt darin. In Dark Horse kann man sich immerhin an Abe festhalten, der in das Sitcom-Universum, in dem seine Eltern feststecken, ein schwarzes Loch nach dem anderen schlägt. (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 31.10./1.11.2012)