Neil Young legt mitunter seltsame CD-Werke vor. "Psychedelic Pill" jedoch zeigt den Altmeister in großer Form.

foto: emily dyan ibarra

Es geht zwar um Zeiten, da alles besser war. Die Musik jedoch ist von ausufernder Lebendigkeit.

Wien - Neil Young als einer der letzten großen Reisenden durch das mythologisch bestens erforschte Wunderland Americana hat es schon lang nicht mehr nötig, auch nur einen Fuß vor die Haustür zu setzen. Reisen bedeutet für den Althippie, die Weite Amerikas von der eigenen Farm in Nordkalifornien aus im dortigen Heustadl zu erforschen. Der ist zum Studio umgebaut, und neue Reiseziele werden dort mit wechselnden Freunden in losen Jam-Sessions ausgemacht.

Wenn man schon überall mindestens dreimal allein und dann noch einmal aus nostalgischen Gründen gemeinsam mit Familie und Freunden wie Buffalo Springfield, Crosby, Stills und Nash oder Crazy Horse war, kann man davon ausgehen, dass einem selbst die fremdeste Fremde vertraut ist. Der 67-Jährige versucht sich dabei in einer unter österreichischen Musikern als sogenanntes Westautobahn-Syndrom (Wien-Linz-Salzburg-Innsbruck-Feldkirch) bekannten, auch künstlerisch öfter an derselben Stelle vorbeikommenden Geworfenheit in bestimmte Gegebenheiten wenigstens selbst zu unterhalten.

Akustischer Hippiefolk mit Chören wird mit der Starkstromelektrik seiner seit 1975 lose bestehenden Kollaboration mit dem Trio Crazy Horse konterkariert. Bisweilen urlaubt der Meister allein mit seinen Gitarren in lärmigen Highway-Motels wie zuletzt 2010 auf Le Noise - oder Young geht mit den Altherren Crosby, Stills und Nash auf bezahlten Campingurlaub quer durch den nordamerikanischen Kontinent.

Nachdem Young seit Jahren seinen umfangreichen Backkatalog unter anderem auch mit diversen, als gehobene Urlaubsfotos verstandenen Live-Veröffentlichungen aufzuarbeiten versucht, hat er heuer mit seiner fast zehn Jahre inaktiven Stammband Crazy Horse im Juni bereits das programmatisch betitelte Album Americana veröffentlicht. Darauf versucht sich Young mit dem Mittel der Erinnerung vom Hörensagen an alten Traditionals wie Oh! Susanna oder Tom Dula oder Oh, My Darling Clementine. Und er geht dabei frei wie teilweise unfokussiert vor. Das ging, auch eingedenk einer absurden Interpretation der britischen Nationalhymne God Save The Queen und der elektrischen Pfadfinderlagerfeuerhymne This Land Is Your Land von Woody Guthrie gehörig schief.

Ein episches Opus

Neil Young hat das im Laufe der letzten vier, fünf Jahrzehnte schon öfter bewiesen: Wenn ein, zwei Alben von Neil Young nicht in Ordnung oder durchwachsen sind oder schlicht nach Irrtum klingen, darf man sich als Hörer auf ein anstehendes Meisterwerk freuen.

Nun liegt es mit dem fast eineinhalb Stunden langen Opus magnum Psychedelic Pill vor. Man wird in dieser wieder mit Crazy Horse entstandenen Arbeit zwar keinen einzigen Ton hören, den man von Young noch nicht gehört hat. Aber der Mann steht gemeinsam mit den drei unvergleichlichen Rumpelrockern Frank "Poncho" Sampedro an der Rhythmusgitarre, Billy Talbot am Bass und Ralph Molina am Schlagzeug hörbar unter Strom.

Die Texte sind wie üblich ein wenig der Protesthaltung älterer Menschen geschuldet, die sich darüber beschweren, dass früher alles besser war - und es deshalb so bleiben müsse. Dies führt dann zur erneuten Beschwörung diverser alter Hippieträume von der Reise als Ziel. Dies alles aber bitte ohne digitale Aufnahmetechnik, CD- und MP3-Format, Hedgefondsalbträume oder schlecht asphaltierte Straßen. Dazu schneidet sich Youngs immerjunge Kopfstimme im Dialog mit Laserschwert-Gitarrensoli seiner antiken Gibson-Gitarre tief ins kollektive Gedächtnis der von ihm seit Jahr und Tag musikalisch geretteten Hörer.

Allein die 27 Minuten und 37 Sekunden des Eröffnungsliedes Driftin' Back beinhalten dabei die Quintessenz des elektrischen Neil Young. Einfache Akkorde, superlange Soli, herrliche Chöre, ein Gefühl unendlicher Weite. Driftin' Back ist ein Song für die Ewigkeit. Es hat ihn auch schon immer gegeben. Vor vielen Jahren hat jemand einmal während eines Konzerts von Crazy Horse vorwurfsvoll Richtung Bühne gerufen, dass alle Lieder Youngs gleich klingen würden. Auch die Antwort ist altbekannt. Young hat darauf gemeint: "It's all one song." Möge es noch lange so bleiben. (Christian Schachinger, DER STANDARD, 3./4.11.2012)