Das Ende einer Zankerei war der Beginn für diese Bianchi 175 Freccia Oro.

Foto: derstandard.at/gluschitsch

1936 half sie Fabrizio Cherubini über den Verlust seiner Frau hinweg.

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Die Freude an dieser Hervorbringung italienischer Ingenieurskunst währte nur einen Tag.

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Von 1897 an baute Bianchi - mit Unterbrechungen - 70 Jahre lang Motorräder.

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Heute hat die Freccia Oro ihren Platz in einem kleinen, feinen Motorradmuseum gefunden.

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Nach 43 Jahren, die Fabrizio Cherubini jeden Tag hinter der Budel seines Cafés stand, hat er es heute endlich geschafft. Sein großer Traum geht in Erfüllung - ein Motorrad. Natürlich ist es für ihn nicht nur ein Motorrad. Die Bianchi 175 Freccia Oro fasziniert ihn, seit sie am Markt ist. Und doch, ist sie nun irgendwie nur ein Trostpflaster.

Vor wenigen Tagen ist Giulietta einfach nicht mehr zuhause gewesen. Für Fabrizio war aber ohnedies klar, dass er sie nicht suchen braucht. Und recht hatte er, mit der Vermutung, dass sie bei Michele ist. Einem Säufer vor dem Herrn - seinem besten Kunden - mit dem sie ihm schon seit Jahren die Hörner aufsetzt. Als er tief in der Nacht aus der Bar nach Hause kam, war Giulietta weg, und mit ihr der halbe Kleiderschrank, 90 Prozent der Schuhe und das meiste Gold wie die Edelsteine, die im Haus waren.

Frau versus Freccia Oro

Aber das hat auch sein Gutes. Die Zankerei ist nun endlich vorbei, dafür zieht die Freccia Oro ein. Gezankt haben sie sich nämlich auch oft wegen seines Traums, ein Motorrad zu besitzen. Giulietta fand es zu gefährlich, hielt Fabrizio vor, ein alter Hahnrei zu sein, wenn er meint, seine Jugend durch ein rauchendes und knatterndes Zweirad wiederzufinden. Kaum war Giulietta bei der Tür draußen, war Fabrizio schon beim Bianchi-Händler, knallte sein gesamtes Erspartes auf den Tisch und fuhr die Freccia Oro aus dem Geschäft. Bis nach vorne zur Tankstelle, wo er sie das erste Mal anfüllte und nach Hause tuckerte. Ohne Helm, ohne Kennzeichen, ohne schlechtes Gewissen. 1936 war das alles noch nicht so.

Mehr sollte Fabrizio mit seiner Freccia Oro aber nie fahren. Noch am selben Tag bricht er sich, als er über die Kellerstiege stolpert, das Bein. Der offene Bruch entzündet sich und kostet den Italiener wenige Wochen später das Leben.

Als Fabrizio in einem billigen Sarg in der Erde verschwindet, steht die Bianchi Freccia Oro in einem kleinen Schober hinter der Bar. Dort, wo sie am Beginn noch einige Getränke lagerten, seit Jahren aber nur mehr Unrat sein Zuhause fand. Die kleine Hütte sollte zur glanzvollen Garage der Freccia Oro werden - aber dazu kam es leider nicht mehr.

Bar samt Motorrad

Kinder hatten die Cherubinis keine, und Giulietta war mit Michele so glücklich, dass sie nie wieder einen Fuß in die Bar setzte, ihren Bruder das Erbe und den Verkauf der Bar abwickeln ließ. Dafür streifte dieser einen Anteil von 10 Prozent des Erlöses ein - zumindest Giulietta hatte diese Zahl im Kopf. In Echt streifte er aber fast 15 Prozent ein. Dass die Hütte samt Bianchi zum Erbe gehört, wusste aber Giuliettas Bruder nicht und damit auch nicht der Käufer der Bar, ein gewisser Claudio Baroni.

Während des Krieges geht das kleine Kaffee in der Nähe von Turin nicht allzu gut. Der kleine Schober im hinteren Teil des Hofes kümmert niemanden. Es sollen fast 20 Jahre vergehen, bis dessen Schatz wieder ans Licht kommt, weil die inzwischen einsturzgefährdete Hütte einfach weg muss. Wem die Bianchi darin gehört, ist schnell klar. Zwischen alten Biergläsern, Tischdecken mit Brandlöchern und zwei halb zerbrochenen Barhockern klärt die Bianchi die Besitzverhältnisse selbst.

Militär- und Zivilmaschinen

1954 war für Bianchi eine harte Zeit. Die 1897 gegründete Firma, die im ersten Weltkrieg vor allem für das Militär Motorräder entwickelte und sich mit den Drei-Gang-Maschinen einen guten Namen machte, hatte es inzwischen schwer. Mitte der 1920er-Jahre war die Motorrad-Schmiede auch im Motorsport mit der Freccia Celeste sehr erfolgreich. Weniger erfolgreich war dann 1939 die Vierzylinder-Kompressormaschine mit 500 Kubikzentimeter.

Im Zweiten Weltkrieg wurde die Firma komplett zerstört, danach zwar wieder aufgebaut - und selbst dem Rennsport blieb Bianchi treu - aber so wirklich auf die Füße kam die Firma nicht mehr. Sie baute günstige Motorräder, die jedoch kaum jemand kaufte. Erst als Bianchi 1957 wieder in den Rennsport einstieg, begann der Stern noch einmal zu strahlen. Bianchi-Motorräder stellten einige Geschwindigkeitsrekorde auf, und ein 250-Kubikzentimeter-Rennmotorrad mit zwei Zylindern wurde zum Verkaufsschlager in Italien. 1967 fiel dann aber trotzdem der letzte Vorhang der Motorrad-Geschichte von Bianchi.

13 Jahre vor dem Ende von Bianchi findet nun also Claudio Baroni die edle Freccia Oro, fährt aber lieber seinen schon in die Jahre gekommenen Fiat 500 A, den Topolino. Für Motorräder hat er nichts übrig. Er bemerkt gar nicht, dass sie nur wenige Kilometer gefahren wurde, schiebt sie einfach die wenigen Meter bis in die Garage seines Hauses. Dort steht sie, bis Claudios Enkel 1959 den Führerschein macht. Denn nur für ihn hat er das Motorrad aufgehoben. Zwar ist der Zweitakter nicht mehr ganz auf der Höhe der Zeit, aber Ennio, der Enkel, freut sich darüber, eine Bianchi fahren zu dürfen. Die Marke steht, wir erinnern uns, für jede Menge sportliche Erfolge. Ennio muss auf den ersten Blick nichts in seine Freccia Oro investieren, nichts restaurieren. Ein nasser Fetzen und etwas Öl taten an einem Nachmittag die meiste Arbeit.

Ennio köpfelt mit der Bianchi

In vier Jahren wird Ennio 38.482 Kilometer auf die Freccia Oro fahren. Fluchen, weil durch die lange Standzeit doch einige Schäden aufgetreten sind, die nun langsam zum Vorschein kommen. Im Mai 1960 stürzt Ennio schwer, weil die Vorderrad-Bremse einfach ihren Dienst quittiert. 1963 verliert er in einer übermotiviert angefahrenen Kurve die Beherrschung über die Maschine und wickelt sie um einen Baum.

Er baut sie dann zwar noch einmal auf, wird sie aber nicht mehr fahren. Er übergibt sie einem kleinen Privat-Museum, in dem sie ab 1963 stehen soll. Doch der Besitzer des Museums hat Besseres mit ihr vor und startet mit ihr bei historischen Rundstrecken-Rennen. Die Begeisterung für den Sport ist aber größer als seine Erfolge. Nur einen Klassenpokal nimmt er mit nach Hause, weil bei einem Rennen nur zwei weitere Maschinen in seiner Klasse starteten. Erst sein Sohn Mario wird die Maschine später noch einmal komplett restaurieren und wieder ins kleine eigene Motorrad-Museum stellen.

Die Freccia Oro heute

Im Oktober 2012 steht diese Bianchi 175 Freccia Oro auf einem der Hügel über Florenz und schaut auf die Ponte Vecchio. Einsam und verlassen steht sie da, mit einem alten Turiner Kennzeichen, perfekt restauriert und glänzend poliert. Wie sie da hinaufgekommen ist? Keine Ahnung. Wie auch nicht vom Rest der Geschichte dieser Freccia Oro. Aber so stelle ich mir vor, könnte ihr Leben verlaufen sein, erst sträflich vernachlässigt - natürlich durch einen Schicksalsschlag - dann benutzt, geliebt, gehasst, danach bestaunt und heute bewundert. Ich hätte sie jedenfalls nicht alleine auf dem Touristenparkplatz über der Stadt stehen gelassen. (Guido Gluschitsch, derStandard.at, 5.11.2012)