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Thomas L. Friedman

Foto: EPA/DANIEL BARRY

Im Oktober 2010 erklärte Senator Mitch McConell, der Führer der Republikaner, dem National Journal stolz: "Das Wichtiste, was wir erreichen wollen, ist, dass Obama nur eine Amtszeit erlebt." - Nun, Mitch, zufrieden mit deinem Erfolg?

Niemand kann mit Sicherheit sagen, welche komplexe emotionale Chemie diese Wahl zu Obamas Gunsten entschieden hat, aber mein Verdacht ist folgender: Ausschlaggebend war schlussendlich wohl die mehrheitliche Überzeugung der US-Bürger, dass Obama, ungeachtet seiner Schwächen, sein Bestes versuchte, um all das, woran Amerika leidet, zu reparieren, und dass er es mit einer Rep-Partei zu tun hatte, die ihm dabei nicht einmal auf halbem Weg entgegenkam, sondern ihn nur scheitern sehen wollte. Angesichts des heutigen Tages finde ich McCollins Aussage geradezu abstoßend. Man vergegenwärtige sich nur all die Probleme, mit denen wir in den letzten vier Jahren zu tun hatten - und stelle dem die eingangs zitierte Aussage des Senators gegenüber.

Das hat in meinen Augen den entscheidenden Unterschied ausgemacht. Die Reps haben eine Wahl verloren, die sie angesichts der Wirtschaftslage eigentlich hätten gewinnen müssen.

Viele Amerikaner sind offenkundig mit wenig Enthusiasmus - gegenüber beiden Kandidaten - zur Wahl gegangen, aber mit einer klaren Vorstellung davon, wen sie bevorzugen. Die Mehrheit schien Obama zurufen zu wollen: " Du hast beim ersten Mal nicht alles richtig gemacht, aber wir möchten dir eine zweite Chance geben." In gewisser Weise votierten sie also ein zweites Mal für "Hope and Change".

Ich glaube auch nicht, dass das Ergebnis viel mit der Gesundheitsreform oder Programmen wie "Race to the Top" zu tun hatte. Es war mehr ein Votum für Obamas Charakter. "Wir haben den Eindruck, dass du dich bemühst. Jetzt streng dich noch mehr an. Lerne aus deinen Fehlern. Reich der Gegenseite die Hand, auch wenn sie dir die ihre verweigert und fokussiere dich wie ein Laser auf die Ökonomie, sodass alle, die heute ohne Begeisterung für dich gestimmt haben, ihre Entscheidung künftig nicht bereuen."

Deswegen ist Obamas Sieg für die Republikaner auch so verheerend: Ein Land mit nahezu 8 Prozent Arbeitslosigkeit gibt lieber dem amtierenden Präsidenten eine zweite Chance als Mitt Romney die erste. Die republikanische Partei hat akuten Gesprächsbedarf - mit sich selbst.

Die "Reds" haben nun zwei Wahlen in Folge verloren, weil sie ihren Spitzenkandidaten in den Vorwahlen mit Rücksicht auf die ultrakonservative Basis so weit nach rechts gedrängt haben, dass er nicht mehr nahe genug an die Mitte herankam, um auch bundesweit zu reüssieren.

Es genügt nicht, wenn Republikaner ihren demokratischen Kollegen im Privatgespräch sagen: "Ich wünschte, ich könnte dir helfen, aber unsere Basis ist verrückt." Sie brauchen ihre eigene Reformation. Die Mitte-rechts-Fraktion muss sich das mit der Rechts-außen-Fraktion ausstreiten, oder man wird für lange Zeit eine Minderheitsfraktion bleiben ...

Neue Herausforderungen

Viele in der kommenden Generation der USA wissen, dass der Klimawandel real ist, und wollen daher, dass etwas dagegen geschieht. Viele von ihnen werden hispanischer Herkunft sein und auf eine humanere Einwanderungspolitik bestehen. Viele dieser nächsten Generation sehen homosexuelle Männer und lesbische Frauen in ihren Familien, Arbeitsplätzen und Armeeunterkünften und möchten ihnen nicht die Rechte vorenthalten, die auch alle anderen haben. Die Republikaner sind zu sehr im Krieg mit dieser nächsten Generation und all ihren Anliegen.

Vor diesem Hintergrund ist die größte nationale Herausforderung der kommenden vier Jahre, wie wir auf die Wandlungen in Technologie und Globalisierung antworten, die in kurzer Zeit den gut bezahlten Mittelklasse-Job für Mittel-Qualifizierte zunehmend obsolet gemacht hat. Gut bezahlte Jobs wird es bald nur noch für Hochqualifizierte geben.

Die Antwort auf diese Herausforderung wird auch politische Phantasie erfordern - eine Mischung aus Bildungsreformen und unkonventionellen Kooperationen zwischen den Bereichen Business, Schule, Universität und Regierung, um lebenslanges Lernen zu ermöglichen.

Dafür werden vor allem Reformen in der Steuer- und der Fremdenpolitik nötig sein. Das Amerika von heute braucht dringend eine Mitte-rechts-Partei, die für all diese Probleme leistungs- und marktorientierte Lösungen anbietet - aber auch die Bereitschaft, der Gegenseite auf halbem Weg entgegenzukommen. Das Land hungert nach praxisorientierter Zusammenarbeit ohne parteipolitische Scheuklappen und wird jene Politiker achten, die das fördern, und jene bestrafen, die es nicht tun.

Die Stimmen sind ausgezählt. Präsident Obama muss an die Arbeit gehen, um die ihm gegebene zweite Chance wahrzunehmen. Und die Republikaner müssen lernen zu begreifen, warum das alles so gekommen ist. (Thomas L. Friedman, DER STANDARD, 8.11.2012)