Im Sinne des klugen "Gentlemen agree on facts" erlauben wir uns, der Entgegnung auf unseren Beitrag bezüglich Fakten und Kernaussagen zu widersprechen und große Missverständnisse aufzuklären.

Nicht "die Schweden rechnen anders", sondern ihr nehmt es mit Zahlen und Fakten nicht immer so genau. Zum Beispiel: Wie immer man rechnet (explizite, implizite oder Lebenszeitbeitragssätze), Schweden hat selbst einschließlich der "dort flächendeckend bezahlten Betriebspensionen" gerade nicht die behaupteten "viel höheren Beiträge" zu den Pensionen, sondern deutlich niedrigere als Österreich sogar ohne Betriebspensionen. Schon um die Jahrtausendwende war der implizite Beitragssatz bei uns 31,3 Prozent (statt offizieller 22,8) und die life cycle contribution rate 38,3 Prozent (Schweden 25,6). In allen Berechnungsvarianten hat Schweden zwischen rund der Hälfte bis maximal drei Viertel unserer Pensionsausgaben.

Altersarmut ist in Schweden und den nordischen Ländern deutlich geringer als in Österreich. Das gilt insbesondere für Frauen und Hochaltrige. In Österreich ist die Benachteiligung von Frauen am Arbeitsmarkt und im Pensionssystem besonders krass und wird durch das archaisch ungleiche Pensionsalter zusätzlich verschärft. Gerade bei Armutsbekämpfung, aber auch Frauengleichberechtigung und sozialer Gerechtigkeit kann Österreich daher nur von Schweden lernen. "Altersarmut" als der "einfache Grund", das schwedische System nicht "nach Österreich zu importieren", ist eine besonders kuriose, faktenwidrige Argumentation.

Aber Schweden ist Österreich auch in den meisten anderen Pensions-Benchmarks überlegen: höheres durchschnittliches Pensionsniveau und höhere Lebenspensionssummen in allen von der OECD gemessenen Dimensionen, und das bei deutlich niedrigeren Beiträgen. Das Geheimnis des skandinavischen Erfolgs? "Work first" und "making work pay": Ein viel höherer Beschäftigungsgrad, gleiches Pensionsalter für Männer und Frauen, versicherungsmathematisch korrekte Zu- und Abschläge, automatische Anpassung des Referenzalters an die steigende Lebenserwartung, aktive Arbeitsmarktpolitik, die auch die Wirtschaft in die Pflicht nimmt, dementsprechend sechs Jahre späterer Ausstieg in den Ruhestand als in Österreich. Also Pensionsantritt wie in den 1970er-Jahren, als wir noch sechs bis zehn Jahre kürzer lebten.

Inzwischen weiß wirklich alle Welt, wie dieser fantastische Wohlstandszuwachs zu konsolidieren wäre. Warum ignoriert ihr weiter viele Erfolgsrezepte und baut auf vage Hoffnungen, die schon jahrzehntelang nicht hielten - oder fast nur auf die Wirksamkeit der Schüssel'schen Reformen 2004?

Worum es geht

Angesichts der inzwischen völlig leer drehenden Steuer- und Abgabenschraube scheitert eine weitere "massive Anhebung der Beiträge", wie sie jahrzehntelang auf sehr niedrigem Niveau noch funktionierte, nicht am "Tabu der Wirtschaft", sondern an elementarer ökonomischer Vernunft - da ist einfach nichts mehr zu holen, ohne Betriebe und Arbeitnehmer zu ruinieren.

Gerade aus gesamtwirtschaftlicher Rationalität und Fairness gegenüber allen Altersgruppen haben die Schweden einen über alle Generationen hinweg fixen Beitragssatz, den auch wir befürworten. Wenn aber weder Leistungen sinken noch Beiträge steigen sollen, bleibt nur eine rasche, starke Erhöhung des faktischen und eine gleichzeitige langsame, minimale des gesetzlichen Pensionsalters.

Wir wollen das gesetzliche Pensionsalter gerade nicht "massiv", sondern nur sehr behutsam, sanft, in winzigen, homöopathischen Mindestdosen von ein paar Monaten über sehr lange Übergangszeiträume, aber vorhersehbar und offen, nicht überfallsartig anheben. Die strikte Weigerung, Lebensverlängerung automatisch in die Pensionsformel zu integrieren widerspricht jeder Expertise, allen internationalen Empfehlungen und auch dem Hausverstand. Wir wollen gerade nicht wie zuletzt seit 2004 die Anspruchsvoraussetzungen durch die Hintertür verschlechtern, etwa durch den versteckten Zwang, durch niedrigere Steigerungsbeiträge fünf Jahre länger zu arbeiten.

Auch wir wollen ein Pensionssystem als Sozialversicherung und nicht als " reine Versicherung", welche die "Leistungsseite zur alleinigen Manövriergröße macht". Aber natürlich werden wir uns längerfristig auch bei den Pensionen von ausgabenorientierter Einnahmen- und Schuldenpolitik zu einnahmenorientierter Ausgabenpolitik und ausgeglichenen Haushalten umgewöhnen müssen.

Karl Renner hätte eine Bevölkerungsmehrheit von Versorgungsempfängern gegenüber den produktiven Erwerbsklassen gewiss als Verirrung und Dekadenz kritisiert und auch als utopischen "Sozialismus" zu Recht für völlig unmöglich gehalten.

Ein Beitragskontensystem "zielt" keineswegs "im Kern auf eine Abschaffung des Bundesbeitrages zur Mitfinanzierung der gesetzlichen Pensionsversicherung", das ist Gräuelpropaganda. Es zielt bloß auf volle Transparenz durch umfassende Kosten- und Kontenwahrheit statt Undurchsichtigkeit, auf Fairness und Gleichbehandlung aller statt Sonderrechte und Bemäntelung berufsständischer Privilegien, auf eiserne Leistungsgarantien statt längerfristig haltloser und kurzfristig gebrochener Versprechen, auf Erwerbsanreize statt auf Ausstiegsprämien wie die "Hacklerei".

Beitragskonten auf Umlagebasis sind keinerlei Kahlschlag. Sie können noch viel großzügiger sein wie die grundsichernde "Garantiepension" in Schweden gegenüber den "Ausgleichszulagen" in Österreich - oder weniger üppig wie die Hinterbliebenenregelungen, die bei uns 5,1 Milliarden kosten und in Schweden weitgehend abgeschafft wurden.

Wenn es dennoch hunderttausende Frauen ohne jede persönliche Grundsicherung im Alter, in Armut oder völliger Abhängigkeit in Österreich, aber nicht in Schweden gibt, darf man die Wirksamkeit und Fairness der Arrangements wohl vergleichen - und verbessern.

Ebenso muss man berufsständische Sonderrechte hinterfragen, etwa weshalb jede Beamtenpension noch auf Jahrzehnte mit durchschnittlich rund 400. 000 Euro subventioniert wird statt mit weniger als 100.000 Euro wie ASVG-Pensionen. Man wird die ganz groben Verwerfungen zwischen Generationen wieder etwas ins Gleichgewicht bringen müssen.

Die steuerfinanzierten "Beitragsgaranten" werden also endlich sichtbar, demokratisch legitimiert und bieten verbindliche, ausfinanzierte Garantien statt budgetär unsicherer, vager Erwartungen und widerrufbarer Versprechen. Selbstverständlich bleibt Armutsbekämpfung durch Ausgleichszulagen, Berufsunfähigkeit, Invalidität, Rehabilitation, Gesundheitsvorsorge, Ersatzzeiten für Arbeitslosigkeit, Krankheit, Mutterschutz, Kindererziehung, Elternkarenz, Pflege, Präsenz-/Zivildienst usw. erhalten. Aber eben im Lichte objektiver Bedarfsprüfung und umfassender öffentlicher Diskussion und als Transfers aus anderen Ressorts an die Pensionsversicherung statt als "stille" Sonderrechte bevorzugter Gruppen ohne nachhaltige Bedeckung.

AK und ÖGB haben recht, auf zahlreiche weitere Vorzüge Schwedens gegenüber Österreich hinzuweisen, etwa auf "viel mehr Bereitschaft der Arbeitgeber, passende Arbeitsplätze für Menschen im höheren Erwerbsalter zur Verfügung zu stellen", und dies wird eine der vordringlichsten Aufgaben der nahen Zukunft sein.

Verzichtbare Verdächtigungen

"Eine beeindruckende Ansammlung namhafter Wissenschafter, Politiker, Unternehmer (...) ist" tatsächlich "keineswegs schon per se eine Garantie für die Richtigkeit der Vorschläge". Aber umgekehrt haben sich diese namhaften Persönlichkeiten und Sozialpartner auch nicht verdient, der "Irreführung", "unsachlichen Verunsicherung", "die endlich aufhören muss", der "mutwilligen Herbeiführung von Altersarmut" bezichtigt oder gar als "Hetzer" eines "industrienahen neo-kapitalistischen Raubtiermodells" angepöbelt zu werden. Wir begrüßen die nunmehr erstmals einsetzende fachliche und sachliche Auseinandersetzung, die zeigen wird, wie wenig wir tatsächlich auseinanderliegen und wo wir verbleibende Auffassungsunterschiede zum Vorteil aller ziemlich leicht überbrücken könnten - wahre Gemeinwohlorientierung und guten Willen vorausgesetzt. (Bernd Marin/Hannes Androsch, DER STANDARD, 12.11.2012)