50 Schritte braucht es, bis ein Teppich fertig ist, die meiste Arbeit macht das Knüpfen aus. Was das Design betrifft, gibt es keine Regeln mehr. Angesagt sind Patchwork, Vintage und Recycling.

Foto: Orienthaus Reyhani

Glencheck, Pepita, Hahnentritt, Vichy - was üblicherweise auf feinem Tuch zu finden ist, legt Daniel Mischioff auf den Boden. Mit seiner Manshu-Kollektion, einem fröhlichen Mix aus indischer Knüpfkunst und europäischen Karos, hat der Schweizer Designer den Orientteppich neu erfunden. Daniel und Sascha Mischioff führen die Mischioff AG in dritter Generation. Einfach sei es nicht gewesen, den Vater von neuen Designs zu überzeugen, erzählt Mischioff beim Rundgang durch den neuen Showroom im Zollfreilager Embrach bei Zürich, der größten Teppichdrehscheibe Europas nach Hamburg. Als Student hätten ihn die traditionellen Teppiche gelangweilt, erzählt der kunstaffine Schweizer, so habe er zu zeichnen begonnen.

Angesagt sind Patchwork, Vintage und auch Recycling. Da werden handgewobene Kelims stylish eingefärbt, mit Viscosegarn zu schrillen Patchworks vernäht oder alte Seidensaris aufgetrennt, das gewonnene Recyclingmaterial von Hand zu neuem Garn gezwirnt. Indische Knüpferinnen schaffen daraus die Seidenteppiche der Amaluk-Kollektion. Nach Zeichnungen in Originalgröße setzen sie Knoten für Knoten - in Manufakturen, Heimarbeit oder nachbarschaftlicher Kooperation.

Im Gegensatz zur puristischen weißen Halle der Mischioffs weht beim Nachbarn im Zollfreilager, der Zollanvari AG noch ein Hauch von Orient. Reza Zollanvaris Leidenschaft für alte Gabbehs, traditionelle Wollteppiche der Nomaden, ist unübersehbar. "Gabbehs waren den Nomaden nicht nur Bodenbelag, sondern Decke, Matratze, Überwurf", erzählt Zollanvari und erklärt die Symbole - Lebensbaum, Unheilstern, Dämonen, Amulette, Tiere. "Alles archaische Motive, keine muslimischen, wie manche fälschlicherweise glauben."

Faires Handeln

Diese Traditionen lässt Zollanvari für seine Kollektionen neu interpretieren: für die Isfahan-Kollektion in Kooperation mit den Mailänder Designern Sofarsonear. Die Italiener studierten die Ikonografie der alten Teppiche, integrierten Traditionelles, ohne zu kopieren. Das klassische Motiv der Moschee von Isfahan etwa wird in Punkte zerlegt, das ursprüngliche Motiv dadurch verwischt, verfremdet. "Update" nennen die Designer diese Methode. "Reload" wiederum steht für den Ersatz orientalischer Symbole etwa durch europäische, klassische Karomuster.

Leider finde der neue Orientteppich in Österreich nur zögerlich Beachtung von Architekten und Architekturzeitschriften, beklagt der Grazer Teppichhändler Amin Reyhani beim Rundgang durch die neue Schweizer Teppichwelt. Mehr Mut zum Teppich wünscht er sich von den Gestaltern. Mit der Honar-Initiative (Honar bedeutet auf Persisch Kunst, Kultur), der jährlichen Verleihung eines Gütesiegels für besondere Teppichkollektionen durch eine internationale Jury, lenkt er Aufmerksamkeit auf neue Teppichkunst. Die Kriterien für die honorige Sache: Es dürfen nur handgesponnene Gebirgswolle und pflanzengefärbte Garne verarbeitet werden, die Muster müssen "außergewöhnlich" sein, die Produktion braucht eine Fair-Trade-Zertifizierung.

Wie Reyhani sind auch Zollanvari und Mischioff Partner von Step, einem Label der Schweizer Max-Havelaar-Stiftung. Label Step engagiert sich seit 1995 für faire Bedingungen in Produktion und Handel handgefertigter Teppiche. Einheimische Expertinnen und Experten kontrollieren und beraten an den Produktionsorten, unterstützen Bildungs-, Sozial-, Umweltprojekte, agieren gegen Kinderarbeit und für gerechte Löhne der Knüpferinnen.

50 Schritte bis zum Teppich

"Es braucht 50 Schritte, bis ein Teppich fertig ist, 60 Prozent der Arbeit macht das Knüpfen aus. Die Wertschätzung für diese Arbeit fehlt aber noch", sagt Step-Direktorin Magdalena Stranner. So sei der Lohn einer Knüpferin drei- bis viermal geringer als jener eines Teppichwäschers. Taveer Jahan, Label-Step-Vertreterin im Teppichland Pakistan, verweist auf ein weiteres Problem: den Zwischenhandel. "Während der Anteil der Knüpferinnen bei uns bei 75 Prozent liegt, beträgt der Frauenanteil im Zwischenhandel nur zwei Prozent, unter den Exporteuren ist keine Frau zu finden." Gegen die Abhängigkeit der Frauen helfe nur Empowerment, sagt Taveer Jahan. Sie organisiert regelmäßige Foren, Zwischenhändler müssen dort ihre Tarife offenlegen. Jahan: "Die Transparenz wirkt. Immer mehr Frauen fordern selbstbewusst gerechte Preise ein."

In Österreich deckt der faire Teppichhandel 50 Prozent des Marktes für handgemachte Teppiche ab, verkauft werden sie in mehr als 70 Geschäften. (Jutta Berger, Rondo, DER STANDARD, 16.11.2012)