Eugen Otto: Mit unsanierten Arbeiterzinshäusern haben auch Vermieter keine Freude, "weil man dort seriöserweise keine auch nur annähernd kostendeckenden Mieten verlangen kann".

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Eugen Otto, Wiener Immobilienunternehmer mit einem Faible für Zinshäuser, sieht noch keine Anzeichen dafür, dass es schon bald vorbei sein könnte mit dem Zinshausboom. Im derStandard.at-Interview erklärt er außerdem, warum es gar nicht so leicht ist, den Bestand der Wiener Zinshäuser zu eruieren, und warum die berühmte "Friedenszins"-Miete schon längst passé ist.

derStandard.at: Herr Otto, Sie präsentieren seit 2009 Ihre Wiener Zinshaus-Marktberichte, und mit jedem Jahr sinkt die Anzahl der Objekte um rund 200. Ist das Wiener Zinshaus in einigen Jahrzehnten ausgestorben?

Otto: Ich würde diese Zahl im Durchschnitt eher mit 150 ansetzen. Aber man muss das differenzieren: Ein Teil davon wird abgebrochen, diese Häuser verschwinden also tatsächlich aus dem Stadtbild, aus der Wahrnehmung der Bevölkerung. Wir berücksichtigen in unserer Definition aber auch eine "rechtliche" Veränderung, die dann auftritt, wenn in einem Mietzinshaus Wohnungseigentum begründet wird. Es gibt also eine große Anzahl an Häusern, die in unserer Zählung nicht dabei, aber doch im Stadtbild weiter vorhanden sind.

derStandard.at: Wieviele sind das?

Otto: Wien hat insgesamt ca. 168.000 Gebäude. Etwas weniger als zehn Prozent davon, nämlich etwa 15.000, sind Gründerzeit-Zinshäuser. Weitere rund 5.000 sind als Gründerzeitgebäude ersichtlich, dort wurde mittlerweile aber Wohnungseigentum begründet, die fallen also aus unserer Definition hinaus.

derStandard.at: Gehen mehr Zinshäuser durch Abbruch oder durch die Eigentums-Begründung verloren?

Otto: Der weitaus größere Anteil geht durch die Umwandlung in Wohnungseigentum verloren. Der Abbruch wird eher weniger werden, weil die Substanz ja grundsätzlich gut ist.

derStandard.at: Können Sie den Abbruch beziffern? Von den 150, die jedes Jahr verschwinden ...

Otto: Bis zu einem Drittel.

derStandard.at: Und hier erwarten Sie einen Rückgang?

Otto: Ja. Leider hat nicht einmal die Stadt Wien genaue Zahlen, weil es vor einigen Jahren eine Änderung der Bauordnung gab. Der Abbruch von Gebäuden ist - ausgenommen in Schutzzonen und in Gebieten mit Bausperre - meist nicht mehr bewilligungspflichtig. Daher gibt es von der Gemeinde die Zahlen nur bis 2006/2007. Es wird zwar jetzt wieder gezählt, aber es wurde einige Jahre lang nicht gezählt.

derStandard.at: Wie gehen Sie bei Ihrer eigenen Zählung vor?

Otto: Das ist gar nicht so leicht. Wir sammeln einerseits alles, was wir selbst in der Stadt sehen und wahrnehmen. Eine andere Quelle - wobei sich das aber überschneidet - ist das Grundbuch, wenn an einer Adresse Wohnungseigentum begründet wird. Dann prüfen wir nach, ob es sich um ein neues Gebäude handelt - dann gab es zuvor einen Abbruch -, oder ob das Gründerzeithaus noch steht, dann handelt es sich "nur" um eine Wohnungseigentums-Begründung, also einen "Abverkauf" der Wohnungen als Eigentumswohnungen.

derStandard.at: Die Wiener Zinshäuser lassen sich in gesellschaftlicher Hinsicht grob in drei Arten unterteilen, nämlich das "Nobelmiethaus", das "Bürgerliche Miethaus" und das "Arbeitermiethaus". Sind die Letztgenannten eigentlich überproportional von Abbruch betroffen?

Otto: Ja, weil diese einfachen Häuser in den früheren Arbeitervierteln sehr häufig nicht generalsaniert wurden, sondern nur in den einzelnen Wohnungen ein bisschen renoviert wurde. Solche Wohnungen, die den heutigen Standards nicht mehr entsprechen - mit Zimmer, Küche, Klo am Gang - haben in der Vermietung einfach Grenzen, weil sie immer dem Mietrechtsgesetz unterliegen werden. Da kann man noch so viel hineinstecken, tolle Sachen werden nicht mehr daraus. Und es ist auch für einen Vermieter keine Freude, solche Wohnungen mit solchen Standards zu vermieten, weil man dort seriöserweise keine auch nur annähernd kostendeckenden Mieten verlangen kann. Was man aber bei so einem Arbeiterzinshaus sehr gut machen kann ist, dass man zwei oder drei nebeneinander liegende Wohnungen zusammenlegt, die Gänge verändert, die Grundrisse verbessert und damit schöne 2- oder 3-Zimmer-Wohnungen daraus macht.

derStandard.at:  Drohen diese einfachen Arbeitermiethäuser nicht bald zu verfallen, wenn keine Generalsanierung gemacht wird?

Otto: Die Arbeitermiethäuser waren zwar früher das Einfachste an Bauqualität, was in dieser Periode gemacht wurde. Aber wegen der massiven Bauweise sind sie nach heutigem Standard noch sehr okay.
Wir berücksichtigen in unserem Marktbericht nur Zinshäuser, die zwischen 1848 und 1918 errichtet wurden. Aber es gibt in Wien auch noch Zinshäuser, die 300 oder 350 Jahre alt oder sogar noch älter sind. Die Substanz ist dabei eher der Bonus. Die müssen eben immer wieder betreut, renoviert, instand gehalten werden. Wenn Sie die Fenster in den alten Arbeitermiethäusern anschauen, sind die meistens nicht aus Eiche, sondern aus einem billigeren Holz. Die wurden nicht so oft abgeflämmt und gestrichen, auch oft nicht so gepflegt und gewartet, deswegen sind die heute oft schon durch Kunststofffenster ersetzt.

derStandard.at: Von der Substanz her könnten diese Häuser also noch locker 300 Jahre stehen?

Otto: Ja. Man hat bei diesen Häusern immer die Möglichkeit, sie generalzusanieren - und das geht am einfachsten dann, wenn nicht mehr allzu viele Mieter drinnen sind. Man kann sie aber natürlich auch abreißen und den Platz neu bebauen. Das hängt sehr stark mit der Lage und Bauplatzgröße und mit der Bebaubarkeit der Liegenschaft zusammen. Üblicherweise sind das kompakte Blöcke mit kleinen Höfen in der Mitte, manchmal auch Eckhäuser ganz ohne Garten. Wenn so ein Haus zuvor 1.000 m² Nutzfläche hatte, kommt man mit einer Neubebauung auf 1.200 bis 1.300 Quadratmeter, weil man auf derselben Gebäudehöhe ein bis zwei Geschoße mehr unterbringt, manchmal auch zweieinhalb.

derStandard.at: Zum Investmentmarkt: Auf das Wiener Zinshaus gibt es nach wie vor einen "Run", aber das Angebot wird immer weniger.

Otto: Es gibt ganz wenige Motive, zu verkaufen. Einmal die Individualmotive: Jemand möchte eine schöne große Eigentumswohnung kaufen und hat ein kleines Zinshaus. Oder: Jemand braucht Startkapital für eine Unternehmensgründung und hat einen Anteil an einem Zinshaus aus der Familie. Erbschaften sind auch solche Situationen, oder wenn sich eine Familie nicht versteht untereinander. Manchmal gibt es auch Institutionen oder Unternehmen, die Geld brauchen.

derStandard.at: Der Markt ist also darauf angewiesen, dass Leute oder Institutionen aus solchen persönlichen Motiven heraus verkaufen?

Otto: Ja. Es gibt wenige Händler und vielleicht noch ein, zwei Dutzend an Privaten, die viele Häuser haben und sie sukzessive verkaufen.

derStandard.at: Wer sind die Käufer?

Otto: Grob betrachtet gibt es zwei Gruppen von Zinshaus-Interessenten. Das eine sind Profis, die mit dem Haus etwas tun wollen - abreißen, neu bebauen, sanieren, was immer. Das andere sind Private oder Anleger, die sagen: Ich verstehe nicht so viel von Immobilien, will nichts kaufen, wo ich viel administrieren oder planen muss, sondern ich möchte ein möglichst fertig entwickeltes Haus, mit geregelten, wertgesicherten Mieteinnahmen über die Jahre. Mit dem anhaltenden Zuzug nach Wien braucht man sich keine Sorgen zu machen, dass man die Wohnungen nicht vermieten kann. Man bekommt vielleicht einmal einen Euro mehr oder einen Euro weniger Miete, aber das Grundrisiko ist sehr beschränkt. Es ist noch dazu schön anzuschauen, man kann vorbeifahren und es jederzeit begehen oder auch selbst bewohnen.
Bei einem Wertpapier ist das anders. Und das hören wir einfach von 95 Prozent aller Interessenten: "Ich vertraue der Bank nicht, möchte weder Schulden noch Einlagen bei der Bank haben", und bei einem Wertpapier weiß man oft nicht, was dem zugrunde liegt. Dennoch ist des Österreichers liebste Veranlagung immer noch das Sparbuch: Wenn man's braucht, kriegst man's.

derStandard.at: Ist das nicht etwas provokant formuliert bei einem Zinshaus nach den derzeitigen Marktverhältnissen auch so, dass man es nahezu jederzeit zu Geld machen kann?

Otto: Es gibt keine Anzeichen dafür, dass es in den nächsten Jahren aus sein wird mit dem Boom, das Zinshaus nicht mehr interessant sein wird. Denn es ist ja auch keine Mode, so wie man sagt: Ich kaufe mir jetzt einen Warhol. Da muss man nämlich immer irgendjemanden finden, der einem den wieder abkauft, wenn man das Geld braucht. Bei einem Zinshaus hat man Einnahmen aus den Mieten, die über den Daumen gerechnet etwa drei Prozent sind. Man kauft also ein Zinshaus um eine Million, und hat 30.000 Euro Jahresmieteinnahmen.
Allerdings muss man davon das Haus instand halten, und man muss am Ende davon Steuern zahlen - im Höchstfall 50 Prozent. Von den vermeintlichen drei Prozent Rendite bleibt einem also nur ein Prozent in der Tasche. Aber die Million ist nach menschlichem Ermessen sicher angelegt. Sie wird nicht weniger werden, voraussichtlich durch die Wertsteigerung eher mehr. Wenn Wohnungen leer werden, kann man sie immer noch in Eigentumswohnungen umwandeln und verkaufen. Allerdings bin ich kein Freund der Wohnungseigentumsbegründung, weil dann Mischhäuser entstehen, die schwierig zu verwalten sind.

derStandard.at: Wie groß ist in Ihrem Geschäft die Problematik mit den Friedenszinsmietern?

Otto: De facto nicht vorhanden. Der Begriff wird zwar noch öfters verwendet, aber die Höhe eines Friedenskronenmietzinses ist nicht mehr dort, wo sie vor 1981 war. Heute ist das mindestens der "Erhaltungsbeitrag", das sind zwei Drittel des jeweils gültigen Kategoriemietzinses. Der Begriff steht also vielleicht noch in Mietverträgen, aber diese Mieten wurden schon angehoben.
Die Problematik ist also gar nicht groß, weil es für mich eigentlich egal ist, ob etwas ein Vertrag nach Friedenskronen-Regelung, also von vor 1981, oder ein Kategorie- oder Richtwertmietvertrag ist. Meiner Erfahrung nach gibt es ohnehin nur in total generalsanierten Häusern eine annähernd einheitliche Zinsstruktur.

derStandard.at: Wie bewerten Sie Zinshäuser, die keine einheitliche Zinsstruktur haben?

Otto: Man schaut sich die Alters- und Mieterstruktur in den Häusern an, ebenso wie die Mietzinse, und macht Tabellen; stellt fest, wie hoch die Mieten sind, in welchen Wohnungen die Mietzinse unter vier Euro, und in welchen sie über vier Euro liegen, etwa bei sechs oder sieben Euro. Letztlich kommt's immer auf den Durchschnitt im Ganzen an. Im Schnitt haben wir bei einem normalen Haus, das nicht total generalsaniert wurde, immer so zwischen 3,50 und 4,50 Euro pro Quadratmeter.

derStandard.at: Sie haben vorhin gesagt, dass es am einfachsten ist, ein Haus zu sanieren, wenn nicht mehr allzu viele Mieter drinnen sind. In Wien scheint aktuell die üble Praxis der offensiven "Bestandfreimachung" überhand zu nehmen. Was denken Sie sich, wenn Sie davon hören?

Otto: Das ist keine Kultur, das ist gesetzwidrig, das finde ich einfach arg. Das ist genauso als ob man jemandem auf der Straße das Handtaschl stiehlt. Wenn man solche Maßnahmen setzt wie in der Mühlfeldgasse, dann sind das illegale "Cowboy"-Methoden. Das ist abzulehnen, zu einhundert Prozent. Das hat auch nicht einmal kurzfristig irgendeinen Erfolg, geschweige denn mittel- oder langfristig. Es bringt nichts. Faustrecht ist aus dem Mittelalter.

derStandard.at: Sind solche Auswüchse für Sie auch nicht wenigstens erklärbar - wenn auch natürlich nicht entschuldbar - durch das strenge Korsett des Mietrechtsgesetzes in Österreich?

Otto: Nein, weil das Mietrecht ein Privatrecht ist, das man gegen jedermann durchsetzen kann. Man steht zwar nicht im Grundbuch, aber man hat das eben irgendwann gemietet. Und Kauf oder Verkauf bricht keinen Mietvertrag.
Es ist okay, wenn ein Vermieter zum Mieter hingeht und sagt: "Ich habe die Wohnungen links und rechts von Ihnen frei - können Sie sich vorstellen, dass wir Ihnen was anderes suchen oder einen Geldbetrag zahlen, und Sie geben das Mietrecht auf?" Der, der dieses Angebot macht, muss aber die Antwort in jedem Fall akzeptieren, egal wie sie lautet. Alles andere ist ungesetzlich. (derStandard.at, 16.11.2012)