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Die Reisenden verbindet ein Verantwortungsgefühl für die Umwelt, Solidarität mit Benachteiligten und Freude an eingelegtem Paprika und montenegrinischem Schnaps.

Foto: APA/EPA/SANDOR UJVARI

Der Bootsjunge mit den Stone washed-Jeans - so viele Menschen auf dem Balkan tragen Stone washed-Jeans, die man in Mitteleuropa kaum mehr sieht - der Bootsjunge also, holt für uns grüne Wassernüsse aus dem Skutarisee, die hier herumschwimmen, als hätten sie auf uns gewartet. Er schneidet sie auseinander und serviert uns kleine, knackige, weiße Stückchen, ein wenig wie unreife Haselnüsse.

Der Junge hat auf seinem Oberarm "Angela" tätowiert, ganz verschnörkelt, fast als wäre es thailändisch. Er geht von einem zum Nächsten, und jeder bekommt den Teller zur Verkostung, elegant macht das der Junge in den Stonewashed-Jeans. Er gibt uns Wein und wieder Schnaps und wieder Käse und wieder Priganice. Meine Großmutter hätte zu den Priganice wahrscheinlich "Bachne Mäus" gesagt. Und so schmecken die Priganice auch: wie kleine fette Krapfenkugeln, passend zum Schnaps.

Der Junge mit den Stone washed-Jeans geht an den Bug. Das Schiff hält an. Er zieht eine allein stehende Seerose aus dem Wasser. Er schneidet den Stängel mit seinem Taschenmesser schnell in viele kleine Stückchen, wobei er die Außenhaut des Stängels auf zwei Seiten nicht zerschneidet. Dann faltet er das Schnitzwerk auseinander und bindet die beiden Hälften der grünen Kette zusammen. An ihr hängt eine unschuldige, weiße Blüte mit einem gelben Kern. Angela ist wahrscheinlich die glücklichste Frau der Welt. Der Skutarisee ist jedenfalls in diesem Moment der schönste See der Welt, mit dem glitzernden Herbstblau des Wassers und den grünen, schlafenden Bergen, die auf ihm schwimmen.

Neugierige meckern nicht

"Warum bist du auf diese Reise mitgefahren?" Die Antworten ähneln einander: Weil Freunde mit dabei sind. Weil wir neugierig sind. Wegen der Wanderlust. Weil wir Sozialprojekte besuchen. Auf dem Boot, das über den Skutarisee tuckert, sitzen etwa 30 Österreicher. Niemand meckert, viele lachen, alle genießen. Diese Menschen haben ziemlich viel Geld für einen Urlaub gezahlt, bei dem sie stundenlang mit dem Zug quer durch Serbien nach Montenegro gefahren sind. Sie verbindet ein Verantwortungsgefühl für die Umwelt, Solidarität mit Benachteiligten und Freude an eingelegtem Paprika und montenegrinischem Schnaps.

Ja, sie wollen sich sonnen und sie lieben die vielen verschiedenen Weinsorten vom Biobauernhof in den Bergen. Und gleichzeitig reicht ihnen das nicht. In Banja Luka steht etwa der Besuch einer Schule für soziale Berufe am Programm, die die Caritas aufgebaut hat.

Der Linzer Christoph Mülleder, der bisher im Rahmen der Caritas solche Reisen organisierte, hat nun eine eigene Reiseagentur aufgemacht: "Weltanschauen" heißt sie. Mülleder will den Leuten, die mit ihm reisen, das Gefühl vermitteln, dass "wir in einer Welt leben". Als Nächstes geht es im Februar nach Siebenbürgen zum Schneeschuhwandern und zu Ostern an den Baikalsee. Mülleders Motto ist ein Zitat von Humboldt: "Die gefährlichste aller Weltanschauungen ist die Weltanschauung der Leute, die sich noch nie die Welt angeschaut haben."

König der Krausköpfe

"Schau der sitzt da wie ein Zöllner", sagt eine der Mitreisenden und zeigt auf einen Reiher auf einem grünen Pfahl im Wasser. Der Reiher wirkt stolz, den Kopf nach hinten geworfen. Wobei die eigentlichen Könige des Skutarisees die Krauskopfpelikane sind, ein ziemlich großes Federvieh mit einem Stückchen Federboa auf dem Kopf, wie es aussieht. Diese Pelikane sind aber scheue Geschöpfe. Man kann sie nur am Horizont erahnen, hinter diesem riesigen Meer aus Seerosen.

Wer mit Mülleder eine Reise macht, bekommt im Bus eine "Guten-Morgen-Geschichte", etwa darüber, dass wir die Dinge so tun sollten, dass die siebente Generation nach uns besser lebt als wir. Mülleder will also, dass wir in Zeitabschnitten von 150 Jahre denken lernen und nicht nur in kapitalistischen Quartalen. Es gibt auch "Gute-Nacht-Geschichten", etwa über Migranten und deren Unfähigkeit, die Wurzeln wieder zu finden, wenn sie nach vielen Jahren hierher zurückkehren.

Am nächsten Tag auf einem Berg, den wir viel langsamer hinaufwandern, als der Nebel von seinen Gipfeln flieht, wartet schon eine šárka auf uns, eine Hornotter, die sich nach dem Regen auf dem Weg sonnt. Bojan, der Bergführer, ist ein balkanischer Held, der nicht nur keine Angst vor diesen Vipern hat, sondern sich auch gern per Bungeejumping in die Schluchten der Tara stürzt. Von oben sieht man auf den Skutarisee und das Meer zugleich. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, Album, 17.11.2012)