Der Mensch ist in einer seltsamen Situation. Er findet sich inmitten bestimmter Gegebenheiten wieder, die unabänderlich zu seiner Existenz gehören, die ihn unausweichlich bedingen. Kein Wunder, dass sich das philosophische Denken von jeher mit der Conditio humana beschäftigt hat.

Mitunter im Gestus der Selbstbelauerung haben sich die Philosophen dem eigenen Dasein zugewandt, um über das nachzudenken, was den Menschen existenziell auszeichnet und dadurch von anderen Daseinsformen unterscheidet. Doch welche sind nun diese Grundbedingtheiten?

Vom Bewusstsein der Sterblichkeit und Geburtlichkeit spricht Hannah Arendt, vom Selbstverständnis des ins Leben Geworfenseins oder dem Leben als einem zum Tode hin Martin Heidegger, vom Ekel dem eigenen Dasein gegenüber Jean-Paul Sartre, und von der völligen Absurdität der menschlichen Existenz liest man bei Albert Camus. Aber auch von der Vernunftbegabung, der Tugendhaftigkeit oder von der Fähigkeit, handeln zu können, ist die Rede. Als ein Ahnherr dieser Gedanken wird der dänische Philosoph Sören Kierkegaard gehandelt.

Er hat zwei der wohl wesentlichsten Merkmale menschlicher Existenz in einen äußerst interessanten Zusammenhang gestellt: nämlich Angst und Freiheit. Kierkegaard greift hierfür auf eine Geschichte aus dem ersten Buch Mose zurück. Er fragte sich, wie Adam und Eva die Aussicht auf den Tod, sollten sie vom Baum der Erkenntnis naschen, wohl verstanden haben könnten - war ihnen der Tod doch vollkommen unbekannt. Sein Befund: Nur als abstrakte Möglichkeit an sich, weil jede Entsprechung in der Wirklichkeit fehlte. Das ist Freiheit nach Kierkegaard: die Möglichkeit, dass sich uns irgendeine Möglichkeit bietet, von der wir nicht wissen, was es damit auf sich hat.

Doch hierin konstituiert sich auch die Angst - die Angst vor dem unbekannten Möglichen.

In modernen säkularen Gesellschaften steigt nun die Gesamtheit solcher Kierkegaard'schen Möglichkeiten in einem Maß an wie niemals zuvor in der Geschichte der Menschheit. Sie boten sich etwa weder einem Jäger in der Bronzezeit, einem Bürger in der Antike, einem Bauern im Mittelalter noch einem Industriellen in der Blüte des Industriezeitalters. Die Freiheit dieser Menschen im Kierkegaard'schen Sinn, war durch allerhand Faktoren eingeschränkt - durch Aberglauben, sozialen Stand, Kirche, Staat und vieles mehr.

Von solcherlei Unfreiheit haben wir uns größtenteils emanzipiert. Wir eröffnen uns, weitestgehend selbst, Möglichkeiten, die uns weder die Tradition noch die Wissenschaft zu erklären vermögen. Der Preis dafür ist Angst. Nach Kierkegaard müssten wir sagen, dass wir, wenn wir noch nie so frei waren wie heute, folglich auch noch nie so viel Angst hatten.

Doch vielleicht kann die philosophische Entlarvung der Angst Trost spenden, denn diese lässt uns hoffen, dass Angst nichts weiter ist als ein Begleiter der menschlichen Bestimmung, frei zu sein. (Heinz Palasser, Bernd Waß, DER STANDARD, 17./18.11.2012)