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Warschau, 11. November 2012: Teilnehmer des "Unabhängigkeitsmarsches" greifen die Polizei an

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Jacek Purski ist Mitglied von "NIGDY WIĘCEJ" ("Nie wieder"), eines Vereins, der gegen Rassismus und Diskriminierungkämpft.

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Aufruf zum "Patriotenmarsch" in Wrocław

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Werbeaufkleber für den "Unabhängigkeitsmarsch" in Warschau

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Am 11. November zogen 20.000 Rechtsradikale durch Warschau und lieferten sich stellenweise Straßenschlachten mit der Polizei. Jacek Purski, der für die Antirassismus-Organisation "Nie wieder" die Entwicklung beobachtet, erklärte im derStandard.at-Interview die Hintergründe, berichtet über die Kooperation zwischen Europas Rechtsaußen-Parteien und erkläutert mögliche Gegenstrategien.

derStandard.at: Am rechtsextremen "Unabhängigkeitsmarsch" vor zwei Wochen, an dem in Warschau bis zu 20.000 Personen teilnahmen, war erstmals auch eine Delegation der ungarischen Jobbik vertreten. Wie funktioniert die Zusammenarbeit zwischen den Rechtsaußen-Gruppierungen?

Jacek Purski: Sie hatten sogar ihre Parteifahnen dabei und leisteten stellenweise Ordnerdienste beim "Unabhängigkeitsmarsch". Viele Rechtsextremisten sehen Ungarn als Vorbild, besonders die Gründung der "Ungarischen Garde" hat ihnen imponiert. PiS-Führer Jaroslaw Kaczyński sprach nach der letzten Wahl davon, er hoffe, dass Warschau eines Tages ein zweites Budapest werde.

derStandard.at: Bei diesem Marsch forderte Robert Winnicki, der Chef der "Allpolnischen Jugend", die Republik abzuschaffen und kündigte die Gründung einer "Unabhängigkeitsgarde" an, Przemysław Holocher von den Nationalradikalen drohte seinen Gegnern an, sie zur Verantwortung ziehen zu wollen, worauf die Menge mit "Sie werden hängen" antwortete. Warum haben solche Einstellungen so starken Zulauf? Umfragen zufolge befürworten 25-30 Prozent der Polen eine Änderung des bestehenden Systems.

Purski: Ich hoffe, dass die beiden Gruppen sich weiterhin gegenseitig Konkurrenz machen und es nicht schaffen werden, eine Allianz zu bilden. Man muss hier differenzieren: Die PiS-Partei (Recht und Gerechtigkeit) vertritt extrem konservative Standpunkte und will die Gegner der derzeitigen Regierung sammeln, weshalb einige Parteimitglieder auch immer wieder mit radikalen Ansichten auffallen.

Die Teilnehmer des "Unabhängigkeitsmarsches" hingegen sind Radikale, die sich großteils aus der Fußballfan-Szene rekrutieren. Winnicki und Holocher richteten sich also an Mitglieder faschistischer Organisationen, die solche Aussagen natürlich enthusiastisch begrüßten.

Vor diesem Hintergrund muss man auch den Fall des Terroristen Brunon Kwiecień sehen, der aus Ausländerhass und Antisemitismus das Parlament in die Luft sprengen wollte. Hier sieht man, wozu dieses in Polen von einem Teil der Bevölkerung akzeptierte Gedankengut führen kann.

Mit radikal regierungskritischen Aussagen wie denen Winnickis schaffen sie es, Hooligans zu begeistern, und aus den Fußballstadien rekrutieren die Rechtsextremen auch viele ihrer jungen Mitglieder. Vor drei, vier, fünf Jahren nahmen an den "Unabhängigkeitsmärschen" ein paar hundert Rechtsextreme teil, erst durch die Unterstützung aus der Fußballszene haben sie es geschafft, so groß zu werden.

derStandard.at: Sie erwähnen Jaroslaw Kaczyńskis PiS-Partei, die sich offenbar um diese Wählerschicht bemüht. In Umfragen ist die PiS allerdings von vormals 40 auf mittlerweile nur noch 18 Prozent zurückgefallen. Wie erklären Sie sich das?

Purski: Ich glaube, dass die PiS früher als allgemein akzepierte politische Partei gesehen wurde. Erst seit dem Flugzeugabsturz von Smolensk ist sie immer rechter geworden ist und vertritt immer radikalkonservativere Standpunkte. Diese Ansichten sind vielen Polen zu radikal, was meiner Meinung nach den Stimmenverlust erklärt.

derStandard.at: In Wrocław (Breslau), wo heuer auch ein "Unabhängigkeitsmarsch" stattfand, verzichtete die örtliche Antifa aus Angst vor Ausschreitungen auf einen Gegenkundgebung. Trotzdem wurde nach dem Marsch ein Wagenplatz angegriffen. Was kann man gegen rechte Gewalt tun?

Purski: Den Marsch in Wrocław hat eine andere Gruppe, der "Nationale polnische Wiederaufbau", organisiert. Wir von "Nie wieder" beobachten die Entwicklung, und Gewalt von rechts nimmt eindeutig zu. Seit ein paar Monaten treten solche Organisationen immer selbstbewusster auf. Sie schaffen es, immer gewalttätigere Anhänger zu mobilisieren und verüben ihre Übergriffe sogar unter den Augen der Polizei.

Gegendemos und Blockaden helfen in solchen Fällen wenig, weil sie nur zu noch mehr Gewalt führen. Viel wichtiger sind in solchen Fällen Aufklärung und Bildung, Konferenzen. Kulturveranstaltungen und Medienarbeit. Mit solchen Aktivitäten kann man die Rechtsextremen härter treffen als wenn man ihre Aufmärsche blockiert. Es ist natürlich wichtig, ihre Kundgebungen zu beobachten und Beweise dafür zu sammeln wie radikal und gewaltbereit diese Organisationen auftreten.

derStandard.at: Aus Griechenland hört man, dass sich die rechtsextreme Partei "Goldene Morgenröte" bemüht, die Polizei zu unterwandern. Sind in Polen ähnliche Entwicklungen zu beobachten?

Purski: Zum Glück nicht. Die polnische Polizei organisiert mit einigem Erfolg Weiterbildungsveranstaltungen gegen Rassismus, wo die Beamten zum Beispiel lernen, rechtsradikale Symbole zu erkennen. Natürlich passieren bei Polizeieinsätzen auf Demonstrationen auch manchmal Fehler, die ich aber eher auf mangelnde Vorbereitung und Schulung als auf eine dementsprechende Einstellung der Beamten zurückführe.

So trugen zum Beispiel Teilnehmer des "Unabhängigkeitsmarsches" in Warschau verbotene Symbole, weshalb die Polizei die Kundgebung eigentlich von Anfang an verhindern hätte können. Die Polizisten haben mittlerweile das Problem verstanden und begriffen, dass die Rechtsextremen immer wieder Gesetze brechen. (bed, derStandard.at, 26.11.2012)