Glückssucher, einmal in Kenia, einmal daheim in der Kirche: Margarethe Tiesel und ...

Foto: Stadtkino

... Maria Hofstätter aus Teil eins und zwei von Ulrich Seidls "Paradies".

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"Liebe" spielt in Kenia, wo es Männer gegen Bezahlung gibt, in "Glaube" wird Religion zur Ersatzbefriedigung. Zwei ungleich geglückte Teile eines imposanten Werks.

Wien - In den Ferien bleibt Zeit für die Pflege von Sehnsüchten. Die Urlaubspläne der beiden rund 50-jährigen Frauen aus den ersten beiden Teilen von Ulrich Seidls Paradies-Trilogie fallen entsprechend ungewöhnlich aus. Teresa packt die Koffer und reist nach Kenia in eine Hotelanlage am Meer. Dort gibt es Beachboys, schwarze Männer aus der lokalen Bevölkerung, die den Besucherinnen Sex gegen Geld anbieten. Teresa freilich sucht anderes: die Liebe.

Anna Maria dagegen vertraut gleich zu Beginn einem Arbeitskollegen an, dass sie zu Hause bleiben wird. Das stimmt allerdings nicht ganz, denn die streng gläubige Katholikin hat ihr Eigenheim in Wien in eine Art Kapelle verwandelt, aus der sie mit einer Wandermuttergottes-Statue Ausflüge in die nähere Umgebung unternimmt. Bei Fremden klopft sie an die Tür, um sie zu einem sündenfreien Leben zu bekehren.

Ulrich Seidl ist fraglos der prononcierteste Vertreter eines österreichischen Miserabilismus im Kino. Wenn er von einer Glückssuche erzählt, ist das Scheitern schon gewiss. Das hat sich herumgesprochen; als in Cannes die erste, furiose Szene von Paradies: Liebe auf der Leinwand zu sehen war, in der eine Gruppe von Menschen mit Down-Syndrom Autodrom fährt und das ganz sichtbar genießt, war kaum jemand brüskiert - der Einstieg funktioniert wie eine Trademark, die amüsiertes Wiedererkennen hervorruft.

Die Trilogie sollte eigentlich ein einzelner Film werden, hat dann aber zunehmend den Rahmen einer solchen Produktion gesprengt. Nun lief ein Teil in Cannes, einer in Venedig (wo er den Spezialpreis der Jury bekam), Teil drei, Paradies: Hoffnung, wird mit hoher Wahrscheinlichkeit in Berlin gezeigt.

In Paradies: Liebe gelingt es Seidl, eine eigentlich recht starre Gegenüberstellung von Erster und Dritter Welt in eine Serie von Begegnungen aufzulösen, die von widersprüchlichen Gefühlen erzählen. Kamera und Mise en scène trennen die Sphären strikt - am Strand stehen die Männer außerhalb der Umzäunung, dahinter sonnen die Frauen auf ihren Liegen; doch es finden sich Räume, in denen die Verwandlung Teresas von einer naiv-schamvollen Person zu einer, die sich mit Ingrimm nimmt, wofür sie bezahlt hat, glaubwürdig Gestalt annimmt.

Dies ist nicht zuletzt die Leistung von Margarethe Tiesel, die ihrer Figur eine große Bandbreite gibt, sie mit Spontanität und Humor ausstattet, was die auf sie zurollende Enttäuschung vielschichtiger erscheinen lässt. Vor dem von ihr erwählten Beachboy Munga (Peter Kuzunga, wie alle seine männlichen Kollegen ein Laie) präsentiert sie sich als Lehrmeisterin, sie will ihm zeigen, wie er sie anzusehen und zu berühren hat. Die Bedingungen für einen Austausch auf Augenhöhe stehen allerdings denkbar schlecht.

Mit wunden Knien

In Paradies: Glaube ist das Konstruktionsprinzip ähnlich: Anna Maria, von der Seidl-erfahrenen Maria Hofstätter mit einer unnachahmlichen Mischung aus Aufdringlichkeit und Verbitterung verkörpert, bewegt sich in offenbar lang eingeprobten Routinen, die ihre Ehrerbietung für Jesus Christus ausdrücken. Versucht Teresa ihre körperliche Lust zu befriedigen, so strebt diese Heldin nun danach, genau dies zu unterdrücken. Anna Maria geißelt sich selbst vor dem Kreuz oder rutscht so lange auf Knien durch die Wohnung, bis diese wundgescheuert sind. Ihre Liebe ist eine, die Abwendung vom Körper verlangt, und das lässt sie ihn paradoxerweise spüren.

Doch auch in Paradies: Glaube kommt erst durch die Konfrontation mit einem Mann die Nagelprobe. Seidl und seine Koautorin Veronika Franz haben sich in diesem Fall ein überspitztes Szenario ausgedacht, denn die bußfertige Katholikin wird von der Heimkehr ihres ägyptischen Mannes (Nabil Saleh) überrascht. Querschnittsgelähmt im Rollstuhl sitzend, gedenkt er nun, seine traditionell aufgefasste Rolle im Haushalt wieder auszufüllen. Die Jesus-Devotionalien, die die Artefakte aus der Ehe verdrängt haben, sind dem Muslim spätestens dann ein Dorn im Auge, als er erkennt, dass seine Frau von ihrem Glauben wie in Besitz genommen erscheint.

Obwohl Religionsthemen bei Seidl nicht erst seit Jesus, du weißt zum Repertoire gehören, wirkt Paradies: Glaube allzu ausgedacht. Die Dogmatik, mit der sich die Frau in die Ersatzliebe zu Jesus stürzt, mutet auf Dauer wie ein Stützwerk an, das der Film eben braucht, um den Rosenkrieg durchzuexerzieren. Auch wenn sich der streng inszenierte Film zu einprägsamen Analogien im Streit der Konfessionen aufrafft - auch der Mann muss sich (auf Händen) durch die Wohnung schleppen -, über die Verdeutlichung von Stereotypien geht das nicht hinaus.

Afrika erweist sich als das offenere Feld als die Vorstadt. Anna Maria bleibt vor allem die Gefangene ihrer selbst. Teresa wird zwar auch nicht das finden, was sie sucht. Aber sie durchlebt Erfahrungen, die ihre Welt um reale Schauplätze erweitern. Als trauriger Höhepunkt fungiert eine Orgie, in der die Geschlechterrollen verkehrt sind, aber das Machtgefälle weiter wirksam bleibt. Das Paradies ist bei Seidl auf irdischen Wegen jedenfalls nicht zu haben. (Dominik Kamalzadeh, DER STANDARD, 28.11.2012)