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"Da, jetzt: Ein reuevolles Zucken des linken Mundwinkels - i werd narrisch!" - Frau C. unter Medienbeobachtung.

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Autor Richard S.: "Man sehe sich nur dieses Foto an ..."

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Der Cordon der Polizisten kann nicht eng genug geschlossen sein, als dass nicht die Objektive der Kameras zwischen deren Schritt, unter deren Achseln und über deren Schultern hinweg der schönen Bestie entgegenwachsen, an ihren Ohren knabbern, in ihrem roten Haar nesteln und in dem wächsernen Gesicht nach Regungen gieren, deren Ausbleiben sich sogar noch besser verkaufen lässt. So glatt hat die Verdinglichung einer Delinquentin selten funktioniert: Bereits beim Prozess ist sie identisch geworden mit der Wachsfigur, als die man sie ausstellen wird, sobald die geilen Objektive erschlafft sind.

Schau- und Vergeltungslust

Estibaliz C. hatte ihre gesellschaftliche Ohnmacht durch die extremste Form der Subjektivierung aufzuwiegen versucht, durch die Macht über das Leben anderer, dafür durfte sie vom Verein der kollektiven Ohnmacht, auch Gesellschaft genannt, einem Ritual überantwortet werden, das die mediale Fortsetzung der einstigen Zurschaustellung von Rechtsbrechern ist, die man schor, bespuckte, schlug und befingerte, ehe der Staat seine Macht an ihnen exekutierte.

Seit Tagen hatte Frau C. unter physiognomischer Beobachtung auch jener Medien gestanden, die behaupten, Qualitätsmedien zu sein. Fernsehreporter wurden ihrem Bildungsauftrag gerecht, indem sie die Angeklagte von früh bis spät hypnotisierten und jede Erschöpfungsgeste moralistisch auswerteten. Da jetzt: Ein reuevolles Zucken des linken Mundwinkels! I werd' narrisch!

Frau C. sei schwer narzisstisch gestört, attestierte die psychiatrische Gutachterin Adelheid Kastner, und erläuterte, dass Narzissmus die Überkompensation des eigenen subjektiven Unwertes sei. Narzissten verarbeiteten Kränkungen schlechter als andere Menschen, Wut könne schnell anschwellen.

Weitaus interessanter ist die Anwendung dieser Schnelldiagnose auf die Gesellschaft der Strafenden selbst, aus der jene acht Geschworenen gelost wurden, die die Höchststrafe verlangten.

Als Abfuhr sadistischer Impulse der um ihren subjektiven Wert Betrogenen hatte Theodor Adorno das kollektive Vergeltungsbedürfnis in seinen "Studien zum autoritären Charakter" bestimmt. Doch es bedarf eines Aufwieglers, der den Schau- und Vergeltungslustigen nicht nur verrät, wo die Tür zur Seele des Sündenbocks ist, sondern diesen auch nach den jeweiligen Bestrafungsbedürfnissen zurechtdesignt. Hier treten die Medien auf den Plan, denn nach ihrer Verhaftung in Udine wurde Estibaliz C. nur pro forma der Justiz überstellt. Wer die Gesetze des Meinungsmarktes kennt, wusste, dass ihre Seele und - mehr als diese - ihr Körper in den Privatbesitz des Medienmobs übergegangen waren.

"Eiskalt" - was sonst?

Von nun an war es das Ressentiment, das den Prozess führte. Und dessen Wirkmacht ist so grässlich, wie es der Anblick männlicher Leichenteile kaum je sein kann. Frau C. hatte zwei schwere Fehler begangen: ihre Morde während der Krise zu begehen, in einer Zeit also, da der subjektive Selbstwert der Nichtmörder fragiler ist als sonst, und sich den Beruf einer Eisverkäuferin ausgesucht zu haben, denn hätte sie mit Heißlufttrocknern gehandelt, wären die blöden Assoziationsketten von der Eisdielen-Mörderin zur eiskalten Mörderin schlechter an ihr hängen geblieben, man fände in ihrem angeblich eiskalten Blick, der kein Berufsschaden, sondern eingebildet ist, vermutlich sogar Spuren menschlicher Wärme.

Und, wie wir alle wissen, ist Speiseeis süß, klebrig und verführerisch, es wird gelutscht, und es wird geschleckt, oft auf länglichen Cornetti - die Sexualisierung der Delinquentin gehörte von Anfang an zum Ritual ihrer Entpersönlichung, ihre Intimsphäre wurde zur öffentlichen Befingerung, ihre Identität zur Schändung freigegeben. Der liebevoll-abwertende Spitzname Esti hat denselben Zweck wie die Aktenkälte der Bezeichnung Estíbaliz C. Niemand weiß ihren Nachnamen, mit diesem verlor sie ihre Subjektivität, die sie den Redaktionen übergeben musste wie die Wertsachen dem Pförtner der Haftanstalt.

Dabei sah es Sommer 2011, zur Zeit ihrer Verhaftung, noch so aus, als hätte die Öffentlichkeit ihre Esti als Ehrenösterreicherin ins Herz geschlossen. Im Vergleich zu den unappetitlichen Amstettner Peinigern und Schmiergeldkomödianten schien sie endlich eine Verbrecherin zu sein, die sich herzeigen ließ. Eine migrantische Leistungsträgerin, die Österreich Aufmerksamkeitsboni kredenzt, eine Netrebko, ja, eine Sarkissova des Männermordes. Man hörte Männer sagen "Von der lassat i mi gern zerstückeln" und ältere Damen, dass Estis Lebensabschnittpartner sicher schiarch zu ihr gewesen seien. Beinahe spürte man Bedauern bei den Leuten, dass die abgehobene Swarovski und nicht dieses bös-sympathische Aschenbrödel die Buhlin ihres Lieblingsgaunerprinzen wurde. Doch die Volksstimmung ist launisch wie der April, besonders wenn der Wind aus den Redaktionsstuben bläst.

Physische Attraktivität, sonst ein solider Standortvorteil im Konkurrenzkampf, mutiert zum Makel, sobald der, insbesondere aber d i e Attraktive die Regeln der imaginären Gemeinschaft übertritt. An jener werden dann die ambivalenten Impulse aus Begehren, Neid und Minderwertigkeitsgefühl entladen. Schlecht war Estibaliz C. von ihren Anwälten beraten, sich ins graue Büßerkleid zu zwängen, denn dieses geriet zu schick und die Angeklagte somit wieder von der Esti zur bösen Eislady.

Auch der Tablettenmix, von den Medien mit widerlicher Indiskretion kolportiert und von ihren Anwälten verabreicht, um unvorhersehbare Emotionsausbrüche zu verhindern, sedierte die Angeklagte zu genau jenem Bild der Indifferenz, das der Öffentlichkeit den ersehnten Beweis ihrer Gefühlskälte lieferte.

Mienenspiel als Indiz

Einen schauderlichen Rückfall in die Physiognomik des 19. Jahrhunderts aber zeitigte die Tendenz, das Ausmaß von Schuld und Strafe aus dem Mienenspiel der Delinquentin abzulesen. Diese Beeinflussung des kollektiven Unterbewussten erfolgte zumeist durch Pressefotos von der Verhandlung, wie alle Schnappschüsse Momentaufnahmen von Hundertstelsekunden der Realität. Man sehe sich zum Beispiel nur das Foto des Autors dieser Polemik an. Wer würde bestreiten, dass er, wenn schon nicht zum Raiffeisenfunktionär, so doch zum Affektmörder taugte. Ich kenne ihn zufällig. Fotografierte man ihn um zwei in der Nacht, traute man ihm bereits Genozide zu, heimliche Kellerfamilien um vier. Wäre ich Schöffe, würde ich dieser Type jedenfalls ein für alle Mal das Handwerk legen, worin immer dieses auch bestünde.

Machtwort der Wissenschaft

Als die Richterin am letzten Verhandlungstag in einem beispiellos manipulativen wie sadistischen Akt eine Horror-Powerpoint-Show mit der Darstellung der Leichenteile verordnete und hierfür das Licht dämpfen ließ, erigierten sofort wieder die Objektive der Paparazzi, denn endlich hatte man die Lichtverhältnisse, um Estíbaliz C. im Moment ihres größten Entsetzens als das entsetzliche Wesen zu zeigen, das sie zu sein hat. Wie aus den Studios der Hammer Productions prangte ihr Vampirgesicht im Halbdunkeln schon wenige Stunden später von den Titelseiten der Schundblätter.

Allen diesen medial und juristisch geschürten Irrationalismen konnte nur noch das Machtwort der exakten Wissenschaften die Stirn bieten. Doch Adelheid Kastner erwies sich als eine Gerda Rogers der psychiatrischen Expertise, indem sie allen Ernstes verkündete, dass "Estíbaliz C." bestimmt wieder morden würde. Und zauberte noch dazu eine erstaunliche Zahl aus dem Doktorhut, die diese Bestimmtheit wiederum relativierte. Bei 31 Prozent liege die Wahrscheinlichkeit, dass die Eislady sich von Männern auch künftig nicht durch Trennung, sondern Zertrennung lösen würde. Kann es nicht etwas präziser sein, Frau Doktor? Sind Sie sich nicht Ihrer Verantwortung bewusst? Können Sie keine Dezimalstellen nennen? Immerhin geht es um das weitere Leben eines Menschen, einer Mutter! Andererseits stellt sich auch hier die Frage: Ist das Loch in der Kellermauer halb voll oder halb leer? Immerhin wird Estíbaliz C. laut Frau Dr. Kastner zu neunundsechzigprozentiger Wahrscheinlichkeit nicht morden, und das ist bereits mehr, als sich von den meisten von uns prognostizieren lässt.

Mit neunundneunzigprozentiger Wahrscheinlichkeit lässt sich allerdings voraussagen, dass eine künftige Justiz, die für Gerechtigkeit statt Rache und Vernunft statt Ressentiment steht, Laienrichter dem schädlichen Einfluss solch forensischer Wahrsagerei und Zahlenmystik entziehen wird. Das unverhältnismäßig harte Strafausmaß, das die Geschworenen forderten, aber gibt einen bedenklichen Vorgeschmack darauf, wie direkte Demokratie, wie ein barbarischer Frühling bei uns aussehen würden, wenn die Wutbürger sich für den Diebstahl ihres subjektiven Wertes an allen möglichen Menschen rächen, bloß an den Verhältnissen nicht, die ihn stahlen.

Über Sinn und Unsinn von Geschworenengerichten wird seit der Geburt des bürgerlichen Staates diskutiert. Ein überlegenswerter Kompromiss läge in der Zulassung nur solcher Laienrichter, die nachweislich weder fernsehen noch Zeitungen lesen. (Richard Schuberth, DER STANDARD, 28.11.2012)