Wien - Kritik an der Personal- und Sparpolitik der ORF-Führung übt der scheidende Vorsitzende des ORF-Redakteursrats, Fritz Wendl. "Der öffentlich-rechtliche Rundfunk ist nicht mit einer Schraubenfabrik vergleichbar, wo ich jemanden nach Lust und Laune einsetzen kann. Wenn die Geschäftsführung irgendwelche Personalentscheidungen fällt, wo in der Öffentlichkeit der Eindruck entsteht, hier wird nicht nach Sachkriterien entschieden, dann schädigt das Glaubwürdigkeit und gesellschaftliche Akzeptanz des öffentlich-rechtlichen Rundfunks", sagt er.

Als Beispiele nennt Wendl Personalabsprachen und Direktorenbesetzungen um die letzte ORF-Wahl und die demnächst erwartete Besetzung eines Leiters der Radio-Innenpolitik. "Bei der jetzigen Geschäftsführung haben wir ja ein ganz besonderes Phänomen. ORF-Generaldirektor Alexander Wrabetz versucht überhaupt nicht, ins Programm hineinzuregieren. Wrabetz' Bekenntnis zur Freiheit der journalistischen Arbeit ist in der täglichen Praxis voll da. Umso sonderbarer ist es, dass dem die Erfüllung von wesentlichen Personalwünschen entgegen steht." Von "politischen Gegengeschäften" spricht Wendl, der Ende des Jahres in Pension geht, nach 22 Jahren gerade den Redakteursratsvorsitz zurückgelegt hat und von den Redakteurssprechern zum Ehrenvorsitzenden gewählt wurde. Allerdings habe es solche auch früher gegeben, "unter Gerd Bacher am ausgeprägtesten".

Wunscherfüllung

Hart ins Gericht geht Wendl mit Radiodirektor Karl Amon, der den umstrittenen Edgar Weinzettl gegen den Willen der Radio-Redaktion zum Innenpolitik-Chef machen möchte. "Wenn ich einen Posten ausschreibe, wo in den Ausschreibungsbedingungen ganz klare Qualifikationen gefordert sind, und es hier Leute gibt, die diese Qualifikationsbedingungen erfüllen, und dann geht der Hörfunkdirektor hin und sagt, ich sehe das ganz anders, ich allein, dann ist es völlig wurscht, ob er das tut, weil sich das irgendein Politiker gewünscht hat oder nicht. Er erweckt in der Öffentlichkeit den Eindruck, er erfüllt irgendjemandes Wunsch, weil es ja nicht die nachvollziehbaren Qualifikationskriterien sind. Das ist für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk tödlich und beschädigt auch die einzelnen Betroffenen. Und es erinnert an den alten Geisterfahrerwitz: 'Was, einer? Hunderte!' Da glaubt einer, er muss das stur durchsetzen, und das ist das Problem."

"ORF-Journalismus verträgt keine weiteren Sparmaßnahmen"

Kritik übt Wendl auch an der finanziellen Ausdünnung der Redaktionen. "Der ORF-Journalismus verträgt keine weiteren Sparmaßnahmen. Es gibt inzwischen etwa 14 Prozent weniger Mitarbeiter. Es kann niemand ernsthaft glauben, dass man damit das identische Programm in Umfang und Qualität liefern kann. Aufgabe der Geschäftsführung ist es, irgendwann mit klaren Vorgaben zu kommen, das und das können wir uns nicht mehr leisten, stattdessen machen wir das und das. Es macht überhaupt keinen Sinn, wesentliche Informationsprogramme immer weiter auszuhungern." Radioinformation und Landesstudios litten etwa massiv unter den Sparvorgaben. Ein Problem sei etwa die Ausweitung der "ZiB 20" um Infos aus den Bundesländern. "Die Landesstudios sind am absoluten Limit", so Wendl.

Den Vorwurf, dass die ORF-Journalisten den Sender selbst führen wollen und da der Schwanz mit dem Hund wedle, bezeichnet Wendl als "Unsinn". Natürlich lägen die entsprechenden Kompetenzen bei einer Geschäftsführung, es sei aber eine der wichtigsten Errungenschaften der vergangenen Jahre, "dass es den ORF-Journalisten gelungen ist, sowohl im Unternehmen als auch in der breiten Öffentlichkeit sehr geschlossen und engagiert für einen wirklich unabhängigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk zu stehen und sich jeglicher Form von Hineinregierungsversuchen sowohl von der Politik als auch von Geschäftsführungen zu erwehren zu wissen".

Nachvollziehbare Kriterien

Beobachtet man Umfragen zum ORF, dann zeige sich das Phänomen, dass der ORF-Berichterstattung und -Information absolute Glaubwürdigkeit und Unabhängigkeit attestiert werde, zugleich wiesen Umfragen dem ORF als Unternehmen extreme Parteiabhängigkeit aus. "Das ist für die ORF-Journalisten sehr schön, für den gesamten öffentlich-rechtlichen Rundfunk aber gar nicht gut. Man soll nicht unterschätzen, wie jeglicher Eindruck der politischen Willfährigkeit für den ORF gefährlich sein kann", warnt Wendl.

Es brauche deshalb nachvollziehbare Kriterien bei Postenbesetzungen, und die Redakteursvertreter wollen mit der Geschäftsführung zu einer klaren Definition der im ORF-Gesetz genannten Mitwirkungsrechte kommen. Notfalls werde man versuchen, dies auch über den Gesetzgeber anzustoßen, so Wendl, der auch einer ORF-Arbeitsgruppe angehört, die mit Medien-Staatssekretär Josef Ostermayer (SPÖ) eine Reform des ORF-Gesetzes diskutiert. Dazu gehört für Wendl vor allem eine Reform der ORF-Gremien, insbesondere die Verkleinerung des ORF-Stiftungsrats und die Entsendung von fachlich qualifizierten Stiftungsräten, die sich nicht als "Erfüllungsgehilfen von Parteizentralen" sehen. Bei der Politik ortet Wendl Verständnis dafür, dass das Hineinregieren in den ORF heute so ohnehin nicht mehr funktioniert und in der Öffentlichkeit mehr schadet als nutzt. Der Journalistenvertreter rechnet zwar nicht damit, dass es noch in dieser Legislaturperiode zu einer Gesetzesänderung kommt, "aber wir drängen darauf".

Fritz Wendl wurde 1947 geboren, begann nach dem Filmstudio und Regiearbeiten ab 1978 für den ORF Radioserien zu gestalten. 1982 wurde er als Moderator der Radio-Journale fix in den Sender geholt, seit 1997 war Wendl Leiter der Radio-Konsumentenredaktion. Daneben gestaltete er mit Teddy Podgorski etliche TV-Filme. Von 1990 bis 2012 war Wendl Vorsitzender des ORF-Redakteursrats. Mit Jahresende geht er in Pension, bleibt aber Mitglied des ORF-Ethikrats und steht dem Redakteursrat beratend zur Verfügung. Auch einige TV-Filme mit Podgorski wird Wendl weiter produzieren. (APA, 28.11.2012)