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Musikverein-Chef Thomas Angyan im akustisch phänomenalen Goldenen Saal und an der noch recht neuen Orgel.

Foto: APA/GEORG HOCHMUTH

STANDARD: Würde einer Ihrer Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert heute im Musikverein vorbeischauen, worüber wäre er erstaunt?

Thomas Angyan: Er würde sich wundern, dass das Präsentieren von Konzerten bei der Gesellschaft der Musikfreunde so im Vordergrund steht. Damals ging es mehr ums Unterrichten und ums Sammeln. Konzerte gab es eher nur hin und wieder, selbst nachdem der Musik verein errichtet wurde. Ich habe nachrecherchiert: Sogar in den 1960er-Jahren gab es einmal eine Woche ohne Konzerte.

STANDARD: Mittlerweile gibt es nicht nur mehr Konzerte als damals, es gibt extrem viele Veranstaltungen.

Angyan: Als ich das Haus übernommen habe, waren es 300 Konzerte. Jetzt sind wir - dank der neuen Säle - auch schon über der Grenze von 800 Veranstaltungen im Jahr. Mein Vorgänger aus dem 19. Jahrhundert würde sich auch wundern, dass wir 47.000 Jugendliche in 218 Veranstaltungen ins Haus holen können.

STANDARD: Der Vorgänger würde vielleicht aber auch staunen, dass das Kernrepertoire heute gar nicht so viel anders ist als zu seiner Zeit.

Angyan: Das glaube ich wiederum nicht. Ich kann mich erinnern, noch vor 25 Jahren haben die Leute bei Schostakowitsch und bei Janáček den Saal verlassen.

STANDARD: Aber von den Konzerten des Festivals Wien Modern etwa findet nur ein eher geringer Teil im Wiener Musikverein statt.

Angyan: Über eine lange Zeit gesehen stimmt es - es ist aber nicht mehr so. Außerdem habe ich in meiner Zeit einiges in Auftrag gegeben: Ich habe nachgezählt, es waren 75 neue Werke.

STANDARD: Welche heiklen Zeiten gab es denn so für die Gesellschaft?

Angyan: Sicher die Jahre um die Revolutionsereignisse von 1848. Konzerte durften keine stattfinden, es gab ein Versammlungsverbot. Hätte uns damals nicht jener Carl Czerny, den jeder Klavierspieler wegen seiner Etüden hasst, 25 Prozent seines Vermögens vermacht - wir hätten vielleicht nicht überlebt, und auch den Musikverein hätte es nie gegeben, der dann 1870 eröffnet wurde. Dass es den Goldenen Saal in seiner ursprünglichen Form noch gibt, hängt übrigens damit zusammen, dass die Fliegerbombe, die in das Gebäude im Zweiten Weltkrieg einschlug und auf der Orgel liegenblieb, nicht explodierte.

STANDARD: Die größere Katastrophe war also doch wohl vielleicht 90 Jahre später, 1938, als die Gesellschaft von den Nationalsozialisten de facto aufgelöst wurde.

Angyan: Es ist ja von der Direktion eine Solidaritätserklärung für den damaligen Kanzler Kurt Schuschnigg ausgesprochen worden. Daraufhin wurden alle herausgeschmissen, die Gesellschaft hat aufgehört zu existieren. Ein Herr Schütz, ein Organist, wurde von Berlin ins Amt gehievt, und die Gesellschaft der Musikfreunde wurde in die Reichsmusikkammer eingegliedert. Das Perfide war: Unser Name blieb bestehen.

STANDARD: In Ihre Ära fällt der Bau der vier neuen Säle. Als Sponsor trat Alberto Vilar in Erscheinung, der allerdings ausfiel. Hatten Sie Vilar falsch eingeschätzt?

Angyan: Ich glaube nicht. Er hat ja insgesamt weltweit 250 Millionen Dollar gespendet. Nur hatte er sein Geld an der Börse verdient, die 2000 in den Keller fiel. Vilar hat viel verloren und konnte nicht zahlen. Es war ein kritischer Zeitpunkt: Wir hatten da ein riesiges Bauloch, und bis auf meinen damaligen Präsidenten Horst Haschek und mich war die gesamte Direktion der Meinung, wir sollten den Bau stoppen und warten.

Horst Haschek meinte drastisch, das sei lächerlich: Wenn es gelungen sei, den Musikverein aus privaten Mitteln hochzuziehen, dann würden wir doch dieses blöde Loch noch auffüllen können. So hat er die Direktion überzeugt. Was niemand außer mir wusste, ist, dass Haschek uns zum Universalerben seines Vermögens einsetzen würde. Dieser Betrag hätte genau das gedeckt, was Vilar uns schuldig geblieben war, nämlich die fünf Millionen. Dass wir Frank Stronach als Sponsor gefunden haben, war dann ein Glücksfall.

STANDARD: Stichwort Zukunft.

Angyan: Ich frage mich, ob sich die Art der Konzertpräsentation in den nächsten Generationen nicht ändern wird. Nikolaus Harnoncourt zeigt uns mit seinen Erklärungen bei Konzerten, wie es gehen könnte. Aber sein Talent hat nicht jeder. Dann gibt es auch interessante Formate von Kollegen, die ein Werk zweimal spielen lassen. Grundsätzlich: Wenn der Zustrom zu klassischer Musik so bleibt, wie er ist, wäre das schon etwas sehr Positives. Wenn ich mich international umsehe, können wir in Wien sehr froh sein über die jetzige Situation. (Daniel Ender und Ljubiša Tošic, DER STANDARD, 29.11.2012)