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Little Richard wird am Mittwoch 80 Jahre alt: "Woo!"

Foto: AP / speciality

Wien - Nachdem Titel wie "The King" oder "The Killer" schon vergeben waren, nannte sich Little Richard eben "The Architect of Rock 'n' Roll". Diese Selbsteinschätzung ist so unscharf wie die Zuschreibungen für Elvis oder Jerry Lee Lewis. Und eigentlich ist Little Richards Leistung größer: Er hat 1955 die DNA des Rock 'n' Roll entschlüsselt. Der Code, der sich ihm offenbarte, lautet "A-wop-bop-a-loo-lop a-lop bam boo".

Diese nicht zwingend sinnstiftende Zeile aus seinem Song Tutti Frutti bringt ein bis heute gültiges Lebensgefühl auf den Punkt: Ich will alles, und ich will es jetzt! Und zwar ohne "bitte" zu sagen. Tutti Frutti ist eine lüstern zuckende Eloge an das Leben, sie gilt als ein Geburtsschrei des Rock 'n' Roll.

Den seinen hat Richard Wayne Penniman heute vor 80 Jahren in Macon im US-Bundesstaat Georgia getan. Schon im Kirchenchor offenbarte sich sein exaltiertes Wesen, das den "little" gewachsenen Richard die fehlenden Zentimeter wettmachen ließ.

Mit 19 nahm er eine erste Platte auf, zwei, drei Jahre später brach der Damm: Innerhalb von drei Jahren veröffentlichte der Mann mit dem irren Blick, dem breiten Grinsen und der scharf rasierten Rotzbremse gut zwanzig Hits für die Ewigkeit. Neben Tutti Frutti waren das Evergreens wie Lucille, Good Golly Miss Molly, Rip It Up und andere mehr. Es waren die hysterischen Bekenntnisse einer sich eben formierenden Jugendkultur in der Aufbruchsstimmung nach dem Zweiten Weltkrieg.

Little Richard bot seine Lieder am Klavier stehend wie Eruptionen dar, ein Bein lässig auf den Tasten. Nicht weil das Sinn machte. Nur so. Weil er es konnte. Rock 'n' Roll war auch die Befreiung von der Rationalität und Little Richard darin früh schon ein Meister.

Doch selbst der Prediger der neuen Freiheit konnte die eigenen Fesseln nicht abschütteln, wurde zwischen Konvention und Rebellion hin und her gerissen. Er war verheiratet und gestand gleichzeitig seine Homosexualität ein - die er bei anderer Gelegenheit eine ansteckende Krankheit nannte. Sich selbst gegenüber war er nachsichtig und erfand für seine Bedürfnisse den Begriff "Omnisexualität".

Werkzeug des Teufels

Little Richard feierte Orgien und predigte den Herrn, er wandte sich von der weltlichen Musik ab und dem Gospel zu. Rassisten galt er als Werkzeug des Teufels, er überwand Rassenschranken, war drogensüchtig und wiedergeborener Christ - Little Richard ist ein wandelnder Widerspruch.

Diese Zerrissenheit verantwortete eine Karriere mit Höhen und Tiefen, doch irgendwie hat er sie nicht nur alle überstanden, er ist auch nie stehengeblieben. Zwar tingelte er in diversen Rock-'n' -Roll-Rentner-Programmen durch die Lande, doch er stellte sich auch Veränderungen. Er nahm Soul-Alben auf, er verantwortet mit Quincy Jones das Funk-Monster Money Is oder rappte für die schwarze Rockband Living Colour.

Schon zuvor war er zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Noch bevor sie berühmt wurden, gab er den Beatles Tipps, als sie, wie er, im Hamburger Star Club auftraten. Bob Dylan, Michael Jackson, Otis Redding oder Jimi Hendrix, der in Richards Band gespielt hatte, verehr(t)en den kleinen Mann mit der großen Tolle.

Heute ist es um ihn ruhig geworden. Manchmal singt er schlecht beraten Duette mit Typen wie Bon Jovi oder Elton John, ab und an führt ihn sein Weg nach Hollywood. Dort nahm er etwa Bruce Willis und Demi Moore ihr Ja-Wort ab, anderswo traute er Bruce Springsteen oder Tom Petty.

Leicht möglich, dass ihm dabei ein euphorisches "Woo!" entfahren ist. Einer jener Ekstaselaute, mit dem sich Little Richard in der Geschichte der Popmusik verewigt hat. (Karl Fluch, DER STANDARD, 5.12.2012)

Hören Sie hier ein paar Songs von Little Richard im Spotify-Stream: