Ein Gründerzeithaus im Grätzel südlich der Thaliastraße, das nachträglich um mehrere Geschoße gewachsen ist.

Foto: Robert Newald

Wien - Das Café Santana in der Hasnerstraße wird wohl noch länger geschlossen bleiben, wie das amtliche Siegel an der Lokaltür vermuten lässt. In der Fleischhauerei gegenüber scheint das Geschäft hingegen gut zu gehen, die Buchstaben, die an der Fassade den Schriftzug "Selchwaren" bilden, dürften schon seit Jahrzehnten dort angebracht sein.

Auch bei den Häusern im sogenannten Hippviertel (benannt nach der Hippgasse) wechseln sich frisch sanierte Gründerzeithäuser, deren reich gegliederte Fassaden in zarten Gelb- oder Blautönen verputzt sind, mit Gebäuden ab, die schon lange keinen neuen Anstrich mehr gesehen haben. Nun steht das Grätzel zwischen Lerchenfelder Gürtel, Thaliastraße, Liebharts- und Gablenzgasse im Zentrum einer Studie, die Lösungsansätze bringen soll, wie in den Gründerzeitvierteln zusätzlicher Wohnraum geschaffen werden kann. Denn Wien wächst und kann dies nicht mehr nur auf der grünen Wiese tun.

Potenzial in unteren Geschoßen

Ausgelotet werden sollen laut Wohnbaustadtrat Michael Ludwig (SPÖ) etwa die Möglichkeiten von Dachgeschoßausbauten und Aufstockungen, die bereits bestehenden Bestände müssten bestmöglich genutzt werden. Es gehe nicht nur darum, in der Höhe neuen Wohnraum zu gewinnen, sagte ein Sprecher Ludwigs am Dienstag. Wenn Häuser neu errichtet würden, könnte etwa bei breiten Straßen auch durch einen größeren Grundriss Platz gewonnen werden. Insgesamt gehe es darum, qualitativ hochwertigen und leistbaren Wohnraum zu schaffen.

Die Häuser im Hippviertel wurden zwischen 1870 und 1910 in einem für die Gründerzeit typischen strengen Raster errichtet, deshalb eigne es sich besonders für diese Untersuchung, meint Daniel Glaser von der Gebietsbetreuung. "Es gibt Geschäfte, Lokale und eine gute ärztliche Versorgung, die sogenannte Stadt der kurzen Wege ist im Hippviertel gegeben."

Sensibler Lichteinfall

Im Rahmen des "Masterplan Gründerzeit" soll in Wien nun erarbeitet werden, was in den gewachsenen Strukturen baulich möglich ist. " Gründerzeit heißt in der Josefstadt nämlich etwas anderes als in Hernals" , sagt der grüne Wohnbausprecher Christoph Chorherr. Man müsse bei nachträglichen Verdichtungen äußerst sensibel vorgehen, etwa dahingehend, dass durch nachträgliche Aufbauten den Bewohnern der unteren Stockwerke nicht zu viel Licht weg genommen wird.

Welche Möglichkeiten die Erdgeschoßzonen bieten, untersucht Angelika Psenner vom Institut für Städtebau an der TU Wien. "Der Ausbau der Dachgeschoße hat sich ohnehin verselbstständigt", sagt die Stadtplanerin, "Wien ist dadurch einfach um einen Stock nach oben gewandert".

Doch zu ebener Erde sei das Potenzial so enorm wie vernachlässigt. Dabei, so Psenner, seien die Gründerzeithäuser nutzungsneutral geplant worden, damals sei Wohnen und Arbeiten noch nicht getrennt gedacht worden. "In bestimmten Lebensphasen, etwa für ältere oder gebrechliche Menschen könnten auch Erdgeschoßwohnungen sehr attraktiv gestaltet werden." (Bettina Fernsebner-Kokert, DER STANDARD, 5.12.2012)