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Te Fenua Enata - die Erde der Männer - nennen die Polynesier ihren Archipel, dessen Küsten bis heute großteils unangetastet blieben.

Die "Bucht der Jungfrauen" erreicht man jedenfalls nur mit kleinen Booten.

Foto: Tahiti Tourisme

Die Bewohner von Nuku Hiva sehen in den rätselhaften Steinfiguren keine Außerirdischen, sondern einfach nur eine Ahnengalerie.

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Anreise & Unterkunft

Flug Wien-Papeete (Tahiti) zum Beispiel mit Air France. Von Papeete regelmäßige Flugverbindungen mehrmals wöchentlich mit Air Tahiti zu den Marquesas. Unterkunft: Hanakée Hiva Oa Peral Lodge; weitere Infos: www.tahiti-tourisme.pf

Grafik: DER STANDARD

Fast vier Stunden dauert der Flug mit der kleinen Propellermaschine der Air Tahiti über die Atolle der Südsee bis nach Hiva Oa. Wenn Wolken die Landepiste in den Bergen der Marquesas-Insel verhüllen, kann es vorkommen, dass der Pilot im letzten Augenblick abdreht und die Maschine auf einer anderen Insel landet. Wir haben Glück. Die Wolken stehen wie dicke Wattebäusche hoch über der Insel, als unser Flugzeug auf einen engen Bergeinschnitt zusteuert.

In der winzigen, nach drei Seiten offenen Flughafenhalle erwartet eine Polynesierin im Berufsoutfit - weiße Hibiskusblüte im schwarzen Haar - die Ankömmlinge. "Taxi gefällig?", fragt sie und deutet auf ein abenteuerliches Exemplar: einen hochrädrigen japanischen Lieferwagen mit offener Ladefläche, doch es gibt nur dieses eine Taxi auf der Insel. Sieben Kilometer ist das einzige Hotel von Hiva Oa entfernt, mehr als Schritttempo zu fahren nicht möglich, dafür ist die Piste zu sehr von tropischen Regengüssen ausgewaschen. Plantagen liegen links und rechts, Kakao, Bananen und Kaffee sind angepflanzt, dann wieder reihen sich Kokospalmen aneinander. Noch ist die Landwirtschaft der wichtigste Erwerbszweig auf Hiva Oa wie auf allen Marquesas-Inseln.

Verrat am Sandstrand-Klischee

Hoch in den Bergen liegt das kleine Hotel Hanakée mit seinen spitzgiebligen Bungalows. Der Blick geht von hier aus über die "Bucht der Verräter" auf wild gezackte Vulkanberge, die aus grünem Urwald aufsteigen. Postkartenstrände mit weißem Sand und schlanken Palmen, die sich darüber wiegen, gibt es hier nicht.

Hiva Oa ist die zweitgrößte, aber touristisch wichtigste Insel der Marquesas, eines vulkanischen Eilands rund 1500 Kilometer nördlich von Tahiti unmittelbar am Äquator. Von allen Inseln Französisch-Polynesiens, der sogenannten Gesellschaftsinseln, liegen die Marquesas am weitesten von jeder Festlandküste entfernt. Nur eine Handvoll Touristen findet alljährlich den Weg zu diesem im Wortsinn vergessenen Ort.

1595 entdeckte der Spanier Álvaro de Mendaña die Inseln und nannte sie zu Ehren der Marquise de Mendoza, der Ehefrau des spanischen Vizekönigs von Peru, Marquesas-Inseln. Doch die Inselgruppe, von der heute sechs Inseln bewohnt sind, lag zu weit außerhalb jeglichen Interesses der damaligen Zeit. Sie wurden einfach wieder vergessen.

Beinahe 200 Jahre später entdeckte James Cook auf seiner zweiten Südseereise 1774 die Inseln wieder. In seinem Gefolge kamen vor allem Walfänger, die die Inseln als Stützpunkte brauchten und die fragwürdigen Errungenschaften der europäischen Zivilisation brachten: Feuerwaffen, Alkohol, Geschlechtskrankheiten. Als Folge davon wurde die Bevölkerung erheblich dezimiert und hat bis heute nicht wieder den Stand erreicht, den sie vor mehr als 200 Jahren hatte.

Heute läuft die Aranui III mindestens einmal im Monat von Fidschis Hauptstadt Papeete kommend die Marquesas an. Aranui bedeutet im lokalen Idiom der mehr als 30 polynesischen Sprachen weiter Weg. Dieses Schiff, ein Frachter, der über ein Dutzend komfortabler Passagierkabinen verfügt, ist die einzige ständige Verbindung zur Außenwelt. Es befördert alles, aber auch wirklich alles, was die Menschen auf den Inseln benötigen.

Schon seit mehr als 2500 Jahren besiedelt, locken die Marquesas nicht erst in unserer Zeit Menschen an, die ihrer Zivilisation entfliehen wollen. Am 8. Mai 1903 starb auf Hiva Oa der Maler Paul Gauguin, der hier die letzten Jahre seines Lebens verbracht hatte. Sein Grab auf dem Friedhof von Atuona ist eins der ersten Ziele, das die wenigen Touristen ansteuern. Auch Gauguins Haus und ein kleines Museum mit Kopien aller Werke, die er auf Tahiti und Hiva Oa schuf, gehören zu ihrem Pflichtprogramm. Nach Gauguin hat es noch einen weiteren europäischen Aussteiger ein Jahr lang in die Einsamkeit des Atolls gezogen: den belgischen Chansonnier Jacques Brel.

Heute sind es kaum mehr Künstler, die hierher flüchten, sondern Menschen wie Serge Lecordier, ein Bauunternehmer aus der Normandie. Er kam vor Jahren nach Hiva Oa, baute das kleine Hotel Hanekée, begann den Fremdenverkehr auf der Insel zu fördern und Straßen zu bauen. Ein Journalist aus Paris eröffnete dann den ersten Zeitschriftenladen in Atuona. Sogar europäische Tageszeitungen kann man hier kaufen. Dass sie oft eine Woche alt sind, nimmt man gelassen hin.

Natürlich gibt es mittlerweile auf Hiva Oa auch Exkursionen, Bootsausflüge zu den Nachbarinseln und sogar ein paar Pferde für einen Ausritt in den Urwald. "Wollen Sie Tikis sehen?", fragt die Dame, die das alles organisiert, und: "Wollen Sie auch ein Taxi?" Ohne die Antwort abzuwarten, telefoniert sie. Nach geraumer Zeit kommt unsere erste Bekanntschaft mit dem Lieferwagen-Taxi und der weißen Hibiskusblüte im schwarzen Haar.

Natürlich wollen wir so wie alle Tikis sehen, die geheimnisvollen Steinfiguren, die auf den Marquesas-Inseln mehr als sonst wo in Polynesien in den Urwäldern stehen. Diese Inseln sind ungewöhnlich reich an archäologischen Schätzen: Alleine in der Nähe von Hane auf Nuku Hiva hat man mehr als 3000 wertvolle Funde gemacht. Weit kommen wir allerdings nicht mit unserem Taxi, dann ist die Piste auch schon wieder zu Ende. Wie selbstverständlich übernimmt die Taxifahrerin auch die Rolle eines Guides.

Wo die Südsee am schärfsten ist

Die Wanderung durch den Urwald auf schmalem Pfad ist mühsam, doch es gebe weder Giftschlangen noch giftige Spinnen oder gefährliche Insekten, versichert sie. Dafür sehen wir eine atemberaubende Fülle tropischer Blüten und Früchte. Das fängt bei den großen Hibiskussträuchern an und geht bis hin zu kleinen Büschen, an denen rote und gelbe Chili-Schoten so verlockend leuchten. Doch eine winzige Kostprobe wird zum Verhängnis, die Früchte sind höllisch scharf.

Schließlich kommen wir zu einer Lichtung mitten im Urwald. Große Fregattvögel kreisen über dem Platz, hocken in den Bäumen ringsum. Ruinen zeugen davon, dass hier einmal Gebäude gestanden haben. Wann genau? Unsere Taxilenkerin zuckt charmant mit den Schultern. Niemand weiß es genau. Nur wenige Meter entfernt stehen ein paar gewaltige Tikis, steinerne Riesenfiguren. Verkörpern sie Götter? Übersetzt heißt Tiki jedenfalls Mensch, doch die Figuren huldigen häufig den Ahnen, die viele Polynesier wie Götter verehren.

Mit leeren Gesichtern scheinen die Tikis in die Weite zu starren. Dorthin, von wo vor Jahrtausenden die ersten Menschen in schmalen Auslegerbooten über den Pazifik nach Hiva Oa kamen, nur von den Sternen geleitet. Irgendwo aus der Weite zwischen Hawaii im Norden und Neuseeland im Süden. Auch das weiß niemand genau. (Christoph Wendt, DER STANDARD, Rondo, 7.12.2012)