Auf seine Verfassungserklärung vom 22. November kann Ägyptens Präsident Mohammed Morsi verzichten, denn deren Zweck ist erreicht: Er hat mit ihr der Verfassung den Weg zum Referendum freigeschossen. Dieses bleibt, wie es im - unanfechtbaren - Dekret von Samstagnacht heißt, aufrecht. Nur wenn die Ägypter den Entwurf ablehnen, wird es einen neuen Verfassungsgebungsprozess geben. Ein paar Verbesserungen sollen später noch hineingewurstelt werden: Morsi sollte besser seine Juristen fragen, ob es zulässig ist, dass der Text, der Verfassung wird, von jenem abweicht, über den abgestimmt wurde.

Das von Vizepräsident Mahmud Mekki geleitete Treffen, das den "Kompromiss" ausheckte, wurde zwar von ein paar wichtigen Persönlichkeiten besucht - die aber durchwegs kein Problem mit einer Islamisierung Ägyptens haben, die diese Verfassung möglich macht. Die säkulare Opposition, die von Mohamed ElBaradei geführte "Rettungsfront", fehlte. Man kann darüber streiten, ob der Boykott klug war.

Das Referendum wird in einer äußerst prekären Sicherheitssituation stattfinden. Fast untergegangen sind die Drohungen aus dem Präsidentenpalast, man werde den Ausnahmezustand verhängen lassen müssen, falls sich die Lage nicht beruhigt. Die Armee scheint neutral bleiben zu wollen. Ob sie aber tatsächlich die neuen islamistischen Herren verteidigen will, falls es zu noch größeren Unruhen kommt, bleibt abzuwarten. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 10.12.2012)