Besser ist es, selbst das Rentier rauszulassen und dann, fett wie die russische Erde, sonst wohin zu sinken.

Foto: Matthias Cremer

Pro: Lass den Luster los!
Von Christoph Prantner

Es gibt Zeiten, in denen sich auch kleine Gauner besinnen müssen. Dann ist die staubtrockene Bilanz über ein Jahr fröhlichen Champagnisierens fällig. Das morsche Gedächtnis erinnert sich tugendhaft an Mäßigkeit und Nüchternheit. Und ja, wie immer in diesen Tagen stellt sich auch großer Respekt vor dem Geschäftsführer unseres soberen Blattes ein, weil der ausnahmslos jede Weihnachtsfeier mit einem Glas Mineralwasser in der Hand bis zum Schluss überwacht, damit sich nicht wieder irgendein Armleuchter in den Luster hängt und so lange schwingt, bis ein klingelndes Malheur zu Boden geht.

Nur wenige, heilige Männer sind in der Lage, sich gleichzeitig zu betrinken und zu betragen. Der charakterfeste Herr L. (nebenan) ist einer, dem das famos gelingt. Er kann leicht anstoßen auf jene, die nicht multitasken können. Wie der Unterfertigte. Der hat deshalb beschlossen, heuer zunächst dem Geschäftsführer zu assistieren, um dann glasnüchtern am Luster zu baumeln. Schauen, ob dann ein Flucht-Achterl oder doch ein Fluch-Tachterl serviert wird.

Kontra: Lass das Rentier raus
Von Sigi Lützow

Abgesehen davon, dass Fröhlichkeit ganz ohne Alkohol immer etwas gezwungen ist, hat es auch unschätzbare Vorteile, auf Weihnachtsfeiern möglichst schnell randvoll zu sein. Der Nüchterne, vielleicht gar durch ein Gewissen belastet, hat nämlich oft nichts vom rundherum tobenden, frohen Fest. Wer, wenn nicht er, sollte durch Alk befeuerte Streitereien schlichten, Kollegen davor bewahren, sich um Kopf und Kragen zu lallen, Benebelte vor des Stehens gerade noch mächtigen Triebhaften retten, mit Vertretern diverser Blaulichtorganisationen verhandeln und hinterher den Dreck wegputzen? So ein Kümmerer kommt oft nicht einmal dazu, vom Buffet zu kosten, darf sich dafür aber der Ablehnung durch jene sicher sein, die ihm ihre Schwächen zeigten.

Besser ist es da schon, selbst das Rentier rauszulassen und dann, fett wie die russische Erde, sonst wohin zu sinken. Ein Samariter findet sich ja immer. Später kann man getrost auf Amnesie plädieren und die heimliche Bewunderung genießen, die allen zuteilwird, die Feste feiern, bis sie fallen. (Rondo, DER STANDARD, 14.12.2012)