Was immer die genauen Hintergründe für den zwar angekündigten, aber dennoch überraschend früh vollzogenen Abschuss der nordkoreanischen Langstreckenrakete gewesen sein mögen, sicher ist: Im Gegensatz zum Versuch im April war die Aktion diesmal kein Rohrkrepierer, sondern ein voller Erfolg. Und: Der Knalleffekt kommt zu einer Unzeit in einer Region, deren Stabilität ohnehin schon äußerst strapaziert wird.

Am Wochenende wählt Japan vorzeitig sein neues Parlament. Der konservative Hardliner Shinzo Abe, der seinen Schneid besonders außenpolitisch bei Nordkorea und im Inselstreit mit China zeigt, war schon vor dem Raketentest der Kim-Diktatur Favorit. Nun könnte die Stimmung endgültig in seine Richtung umschlagen.

Wenige Tage später wählen die Südkoreaner einen neuen Präsidenten. Auch in diese Richtung mag die Rakete gezielt haben, obwohl sie bis in die Erdumlaufbahn flog. In Seoul ist von "Nordwind" die Rede, wenn die so ungleichen Brüder oberhalb des 38. Breitengrades wieder einmal politisch oder militärisch Stunk machen.

In China etabliert sich derzeit eine neue Führungsgarnitur. Auch für sie ist der Test unangenehm, weil Peking, als der einzige noch verbliebene Verbündete der benachbarten kommunistischen Genossen am Gelben Meer, vor allem Ruhe wünscht. Der neue starke Mann Xi Jinping könnte viel früher, als ihm lieb ist, in die Rolle des Krisenmanagers und Vermittlers gestoßen werden - noch ehe er überhaupt daheim die Zügel ganz in der Hand hat.

Und schließlich sind da noch die USA, für die der erfolgreiche Testflug einer nordkoreanischen ballistischen Rakete mit großer, also die USA gefährdender Reichweite zu einem Top-Level-Sicherheitsrisiko wird. Die Regierung unter Barack Obama, die ihre Aufmerksamkeit ohnehin schon deutlich mehr auf die Pazifik-Region richtet, wird neue Politikansätze im Umgang mit den unberechenbaren Sprengmeistern in Pjöngjang finden müssen. Denn die sogenannten Sechsergespräche mit Nordkorea sowie eine Kombination aus Lebensmittel- und Öllieferungen mit regelmäßigen diplomatischen Bastonaden haben sich als immer weniger wirksam herausgestellt.

Für Kim Jong-un dagegen ergibt die "Militär zuerst"-Politik, die bereits sein Vater Kim Jong-il vorangetrieben hat und auf die sein Sprössling angeblich sogar testamentarisch verpflichtet wurde, Sinn. Denn das ausgezehrte Land hat nichts außer Waffentechnik zu bieten. Das ist das einzige Pfund, mit dem die Kim'sche Dynastie wuchern - und mit dem sie nebenbei ihr Fortbestehen sichern kann.

Auf absehbare Zeit wird sich an dieser strategischen Lage in und um Nordkorea wohl kaum etwas ändern. Ob es irgendeine Möglichkeit gibt, aus der Situation in eine erfreulichere Entwicklung zu kommen, muss als Frage vorerst wohl auch unbeantwortet bleiben. Denn der einzige Faktor, der helfen kann, ist Zeit.

Selbst wenn die Chinesen steif und fest behaupten, auch sie hätten keine große Handhabe in Pjöngjang, sind sie die einzigen, die den jungen Führer und dessen politische Gouvernanten beeinflussen können. Sobald Xi Jinping seine Macht zu Hause konsolidiert hat, wird er - und nur er - eine realistische Chance haben, die ewigen Störenfriede der internationalen Gemeinschaft einigermaßen zur Räson zu bringen. Dann vielleicht wird der Nordwind nur noch Nordwind sein - und nicht mehr so eisig wehen wie derzeit. (Christoph Prantner, DER STANDARD, 13.12.2012)