"Die Menschenexistenz auf Erden ist tragisch. Das ist nicht aufzulösen. Dostojewski hat gemeint, es werde einmal alles gut, wenn die Religion nicht als Gesetz auftritt, sondern als Vergebung. Also: Du Verbrecher bist der Bruder. Du hast etwas Schlimmes begangen, aber Du wirst nicht verbannt und verkommst. Aber der Staat von heute sagt nicht zum Verbrecher Bruder. Die Kirche sagt zwar Bruder, aber sie sagt es mehr aus Routine. Auch die Französische Revolution hat von Brüderlichkeit gesprochen. Man ist immer noch ergriffen." Der gute Wille sei entscheidend, meint Peter Handke, von dem diese elementare Erkenntnis stammt, dennoch sei er "kein humanitärer Schriftsteller, der Gutes tun möchte". Er wolle aber "Gutes schaffen", das sei "universeller, als Gutes zu tun".

Hubert Patterer, Chefredakteur der Kleinen Zeitung, und Journalist Stefan Winkler legen einen bemerkenswerten, in den letzten drei Jahren in loser Folge mit Handke geführten Gesprächskanon vor. Aus einem anfangs lakonischen Frage-und-Antwort-Spiel entstand eine kunstvolle Etüde über das Sein, über Wertigkeiten und die inflationäre Berufung auf tradierte Werte. Fragen über das Spirituelle, den Glauben, über das Besondere, das Herausragende werden ebenfalls beantwortet wie Dinge des Lebens, des alltäglichen Universums. Handke dekuvriert die Glaubwürdigkeit von Politikern anhand des menschlichen Faktors (Sarkozy) und die Unglaubwürdigkeit von Politiker mimenden Schauspielern (Hollande). Was es prinzipiell den nächsten Generationen weiterzugeben gilt, sei, laut Peter Handke, Ernsthaftigkeit und Begeisterung. Manchmal auch Zorn, Leidenschaft.

Peter Handke im Gespräch offenbart mittels eines an Exerzitien erinnernden Ritus, eines alles immer und immer wieder hinterfragenden Stils den kreativen, den politischen sowie den religiösen und philosophischen Kosmos des Dichters. "Ich bin Moralist", bekennt Handke, der vor wenigen Tagen seinen 70. Geburtstag gefeiert hat, "und als Schreiber ein Ästhet." Kämpferisch bleibt Handke aber auch weiterhin, ästhetisch Hässliches mit ethisch Verwerflichem verbindend: "Ich sage 'Herr vergib ihnen nicht, denn sie sollten wissen, was sie tun.' Die Leute wissen nicht, wie sehr sie andere verletzen."

Luzide ersteht letztlich ein Ton einer Zuversicht, die sich in manchen Momenten zu einem Manifest des Lebens verdichtet und das fatalistische Grundgefühl der Verlorenheit für Augenblicke aufhebt. (Gregor Auenhammer, DER STANDARD, 13.12.2012)