Oscar Niemeyers Gedenkstätte für Juscelino Kubitschek, den früheren Präsidenten Brasiliens (1956-1961).

Foto: Edgar Honetschläger

Ein Militärkomplex in Brasília aus der Nähe ...

Foto: Edgar Honetschläger

... sowie das Kongress- und Senatsgebäude aus der Ferne.

Foto: Edgar Honetschläger

Anreise zum Beispiel mit TAP Portugal, American Airlines oder Delta; ab Wien immer mit Zwischenstopp(s). Brasilianisches Fremdenverkehrsamt, Börsenplatz 4, 60313 Frankfurt, 0049/69/96 23 87 33 oder 0049/69/21 97 12 76.

Informationen:

www.honetschlaeger.com

www.schlebruegge.com

Grafik: DER STANDARD

GOLDENE STADT. Brasília wurde für die Sonne gebaut. Zur Golden Hour wirkt Niemeyers Halbkugel wie ein zartes Gefäß aus edlem Metall. Seit fünf Monaten ist der Himmel vor dem Fenster wolkenfrei, nie endendes Blau, wohin man blickt Horizont und Wolken, so groß und mächtig wie ganze Länder. Trockenzeit. Ich wache in meinem großen Bett im Super Quadra Sul 305, Bloco B, mit Nasenbluten auf - wie viele andere, die "auf dem Flugzeug" leben. Auch der vor die Schnauze des Fliegers großzügig angelegte Lago Paranoa, der Feuchtigkeit spenden soll, kann keine Abhilfe schaffen. Man sehnt sich nach der Regenzeit. Und endlich, bleiern wird der Himmel, sechs Monate Regen; schwerer, warmer, undurchdringlich tropischer Regen. Das Nasenbluten hat sein Ende - jetzt kommt die Melancholie.

AUTOSTADT. Man geht nicht zu Fuß. Wie in Los Angeles und doch anders, denn die Stadt wurde ohne Ampeln gedacht. Darum klingt sie auch anders, ein immerwährendes zartes Summen orchestriert Brasília, gleich einem Bienenschwarm. Dem Besucher wird das Leitsystem erklärt, alles einfach, heißt es. Nichts kann schiefgehen in den Kreisverkehren. Buchstaben, Nummern, keine Straßennamen, wie in Tokio. Ordem e Progresso steht auf der Flagge - aber alle verfahren sich andauernd. Das Fahren ohne Halt, sieben Kilometer den einen Flügel entlang und sieben Kilometer den anderen, gleicht einer meditativen Übung.

BÜHNENSTADT. Brasília - Ausdruck des Fortschrittsglaubens, Beweis, dass wir uns über die Widrigkeiten der Natur hinweggesetzt haben. Ein großes Stück Kultur, im totalitären Anspruch ihrer Schönheit nicht zu überbieten. Totalitär, weil Brasília am schönsten ohne Menschen ist, als Skulptur, als Kunstwerk. Der Mensch hat die Natur endlich überwunden, ist dem Dschungel für immer entwachsen. Nirgendwo sonst erfüllt sich die Moderne so wie auf diesem Flugzeug, das ursprünglich ein Kreuz war. Brasília ist der auf die Bühne gebrachte Höhepunkt der Moderne, kalt, Bauhaus pur. Aber Brasílias Moderne kann etwas anderes als die Europas oder Amerikas. Sie spricht eine andere Sprache - wie die Musik des Landes, sie ist graziler, luftiger, sie tänzelt mehr, wenn auch nicht wie der Samba, der in Brasília nie hätte erfunden werden können.

GARTENSTADT. Niemeyer mag die bekanntesten Gebäude Brasílias gebaut haben, aber Lucio Costa war der Meisterplaner. Er hat dafür gesorgt, dass man rund um das Jahr in den öffentlichen Parks zwischen den Blocos Avocados und Mangos ernten kann und dass Bäume das ganze Jahr über im Monatstakt blühen, jedes Monat andere, Regen- wie Trockenzeit.

ELITESTADT. An Sonntagen ist die Hauptstraße, die Eixo, die entlang des Rumpfes läuft, für Fahrzeuge gesperrt. Die Wiesen haben sich unter der glühenden Sonne in rote Sandflächen verwandelt. Aber zwischen den Superquadras führt die Elite des Landes ihre Hunde spazieren, durch die künstlich bewässerten Parks. Die Superquadras sind auf den beiden Flügeln des Flugzeugs gebaut. Am Schnittpunkt zwischen Rumpf und Flügeln befindet sich der Fernsehturm, an der Spitze des Rumpfes das Cockpit, sprich: der Kongress und der Senat, ein Doppelhochhaus wie das World Trade Center, aber lange vorher errichtet, der Präsidentenpalast, das Oberste Gericht und die Abgeordnetenkammer. Danach reiht sich ein Ministerium ans andere - die 1. Klasse. Alle diese Bauwerke stehen um eine unendlich große, rechteckige Wiese, die Esplanada. Leben dürfen auf dem Flugzeug nur wenige, aber die pendeln Woche für Woche mit dem Flugzeug aus den Bundesstaaten in die Hauptstadt, um am Wochenende wieder zurückzufliegen.

SATELLITENSTADT. Der Friedhof hängt am rechten Flügelende, eine Spirale, die man mit dem Auto nach innen und dann wieder nach außen fährt. Sterben muss man hier, um auf dem Flugzeug dabei sein zu dürfen, nur wenige dürfen fliegen. Zynisch hatten die Architekten einen Kreis mit einem Radius von 25 Kilometern um die Hochebene gezogen, auf dem das Verwaltungsflugzeug sitzt, und dort die Satellitenstädte angelegt, in denen das 'Flugpersonal' wohnt, die, welche die Elite pflegen und bedienen. Frühmorgens kommen sie nach Brasília, abends kehren sie zurück in ihre Satelliten. Bleiben dürfen sie nur, wenn sie tot sind.

BÖSE STADT. Brasília wurde als Speerspitze geplant, um das Oberland und den Amazonas urbar zu machen, und das ist gelungen. Die "Erste Welt" moniert, dass der Urwald sukzessive aufgefressen wird. Brasília ist umgeben von der Cerrado, einer niedrigen Steppe, die einst eine größere Artenvielfalt als der Urwald, den alle schützen wollen, beherbergte - bis Brasilien zum größten Nahrungsexporteur der Welt aufstieg. Heute ist die Cerrado extensives monokulturelles Landwirtschaftgebiet - dreimal so groß wie Frankreich...

KAFKA-STADT. "Als ich jung war, sah ich mir Tarkovsky-Filme an", sagt der in Brasília geborene Regisseur José Eduardo Belmonte, "und wenn ich das Kino verließ, konnte ich keinen Unterschied zu den Filmen entdecken, alles war weit und gespenstisch leer, keine Menschen, der Himmel unendlich." Bis vor wenigen Jahren gab es keine Werbung im öffentlichen Raum Brasílias, weil Gott Niemeyer dies nicht wünschte - es hätte die Reinheit des Gesamtkunstwerkes verletzt. Dann kam der Vizegouverneur, der, dem die halbe Stadt gehört, der, der die Tochter von Präsident Kubitschek geheiratet hat. Heute tragen fast alle gut einsehbaren Rücken der Blocos riesige Werbebanner. Die Satellitenstädte sind an die Hochebene, auf der das Flugzeug thront, herangewachsen. Schluss mit Stille, Schluss mit Weite, Schluss mit den Gespenstern der Moderne - das Flugzeug wurde zur hippen Altstadt degradiert, zum schönsten Museum der Moderne, einem Bauhaus-Monument, das die Schönheit des 20. Jahrhunderts besser repräsentiert als jeder andere Ort der Welt. (Edgar Honetschläger, DER STANDARD, Rondo, 14.12.2012)