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Von Testosteron geprägte Murmeltierweibchen: In den Nagetiergruppen gibt es ein dominantes Weibchen.

Foto: APA/dpa/Wittek

Wien - Es sind wahrhafte Überlebenskünstler. Sie bewohnen Bergmatten in bis zu 3000 Metern Höhe, ein harsches Habitat. Mehr als die Hälfte des Jahres müssen die Vierbeiner in ihren Bauten verbringen, während draußen tiefe Minustemperaturen herrschen und meterweise Schnee liegt. Die Rede ist von Marmota marmota, dem Alpenmurmeltier. Europas drittgrößte Nagerspezies.

Die Überwinterungen stellen den größten Engpass im Leben der Murmeltiere dar. Die meiste Zeit sind sie dabei im Kälteschlaf, dem sogenannten Torpor, versunken, eng aneinander gekuschelt. Doch etwa alle vierzehn Tage wachen die pelzigen Gesellen auf und erhöhen ihre Körpertemperatur auf 37 Grad Celsius. Das kostet sehr viel Energie, ist aber unerlässlich für die Entgiftung des Körpers und die Gehirnfunktion, erklärt der Biologe Klaus Hackländer von der Universität für Bodenkultur (Boku) in Wien.

Das Aufwärmen spielt auch für Sozialverhalten und Fortpflanzung der Nager eine entscheidende Rolle. Die Tiere leben in Gruppen, die meist aus Familienmitgliedern bestehen. Ein dominantes Weibchen bringt als einzige Nachwuchs zur Welt. Mehr Junge würde die Gruppe im Winter nicht wärmen können.

Die Dominante paart sich allerdings mit mehreren männlichen Gruppenmitgliedern und wird mehrfach befruchtet. Die Männchen wissen also nicht, wessen Vater sie sind. "Das schweißt die Gruppe zusammen", betont Hackländer. Auch die anderen Weibchen werden begattet, doch sie tragen nicht erfolgreich aus. Die Embryos werden wieder resorbiert, vor allem infolge von Stress durch Rangordnungsgerangel.

Klaus Hackländer und sein Kollege Walter Arnold von der Veterinärmedizinischen Universität Wien sammelten jahrelang Daten über Gruppenhierarchie und Fortpflanzungserfolg einer Murmeltier-Population im Berchtesgadener Land: Eine einzigartige Chance, um ein seltsames Phänomen zu untersuchen: Wenn weibliche Tierembryos im Uterus direkt neben männlichen liegen, geraten sie während der Entwicklung unter Testosteron-Einfluss. Dieser sogenannte IUP-Effekt (intrauterine Position) wurde bei in Gefangenschaft lebenden Nagern nachgewiesen, noch nie jedoch bei wildlebenden Spezies. Bis jetzt.

Das Testosteron bewirkt beim IUP-Effekt eine deutliche "Vermännlichung", die offenbar lebenslang anhält. Die betroffenen Weibchen sind kräftiger und aggressiver. Bei der Auswertung ihrer Daten stellten Hackländer und Arnold fest, dass weibliche Murmeltiere mit mehreren Wurfbrüdern öfter als ihre Artgenossinnen die dominante Position in einer Gruppe erobern. Und dementsprechend gelingt es ihnen leichter, die Fortpflanzung zu monopolisieren. Oft über Jahre hinweg. Dem Hormon sei Dank.

Eine geringere Fruchtbarkeit infolge der Maskulinisierung, wie sie etwa bei Mäusen vorkommt, konnten die Biologen für M. marmota nicht belegen. Die durchschnittliche Anzahl Junge betrug für alle Weibchen drei Stück, unabhängig davon, ob die Geschwister der Mutter mehrheitlich männlich oder weiblich waren. (Kurt de Swaaf/DER STANDARD, 27. 12. 2012)