"Buch der Körper. Gedichte".

Foto: Schöffling

Verkörpern bedeutet darstellen, Inhalten eine Gestalt verleihen. Mittels Sprache vermögen wir etwas vorstellbar zu machen, also in Worten zu verkörpern, und auch weitere Dimensionen wie ironische Kippeffekte zu schaffen.

"Entspringt ein Gedicht schon fertig, wie Athena dem Schädel von Zeus? Dabei vergessen wir die Kopfschmerzen des Größten aller Götter. Wir vergessen, wie wenig stabil alles ist, das uns sagt, das wir sind. Die Kreuzigung, die mit großer Brutalität das Schlurfen der goldenen Sandalen der Unsterblichen auf dem Olymp erstickte. Ich frage, schreie in die Äonen, gedämpft murmele ich vor mich hin: Brauche ich für das Schreiben wirklich eine Theologie des Bleistifts?" Eine bezeichnende Passage aus dem Buch der Körper von Ales Steger: Poesie und Poetologie, Kultur- und Sakralgut, Spiel und Anspielung (hier auch auf Peter Handkes Geschichte des Bleistifts), Körper und Textkorpus und die Frage nach deren Geburtsgeheimnis - und alles auf der Kippe der Ironie.

Der knapp vierzigjährige Ales Steger stammt aus Ptuj in der Stajerska, der ehemaligen Untersteiermark. Er ist wohl einer der international renommiertesten Dichter seiner Generation und in Slowenien (auch als Literaturvermittler) eine Institution.

Vor fünf Jahren erschien sein Buch der Dinge, es fand eine begeisterte Aufnahme. Das 2010 im Original publizierte, nunmehr in gelungener Übersetzung von Matthias Göritz vorliegende Buch der Körper trägt ebenfalls einen Titel, der auf sakrale Schriften verweisen könnte. Hier ist jedoch kein biblischer Duktus am Werk, sondern virtuose modernste Lyrik voller Hintergründigkeiten, mit originellen Ausformungen des Sprachkörpers.

25 Buchstaben hat das slowenische Alphabet, aus je 25 Gedichten bestehen die drei Abschnitte des Bandes. Der erste Teil "Das", fünfstrophige Dreizeiler, setzt mit knappen Existenzgrundlagen und Grundwörtern an, im Eingangsgedicht ist des Lebens Lauf konzentriert: "Einer aus Nichts. / Einer fast Nichts. / Einer wie Einer. // Zweimal Einer. / Mal zu zweit. / Zwei mal eins. // Einer in Einem. / Einer aus Einem. / Drei aus Zwei. // Zwei mit Einem. / Zwei ohne Einen. / Zwei ohne mal. // Zweimal Einer. / Einmal Einer. / Einer ins Nichts." Der extrem reduzierten Beziehungsarithmetik folgt ein leichtes Abtasten ("Alles ist möglich. / Alles vielleicht. / Und fast nichts."), eine Sprachsuche mit zunehmender Bildhaftigkeit: "Das Wort findet dich. / Es spielt mit dir. / Es rollt dich im Wind." Und dann "Leere mit Krawatte. / Ein Wortknoten. / Geht Welt ausloten." Die lyrischen Ansätze drehen sich um Schaffen, Erbauen und um Zertrümmern, Zerbrechen. Derart legt Steger thematische und wortwörtliche Schwerpunkte, "Körper aus Kreuzungen. / Im Aufgebot des mehr. / Sich mehr verlaufen."

Der Verlauf der Gedichte lässt das Verlaufen in Episoden und Bedeutungen zu. "Dort", den zweiten Teil des Bandes, bilden Prosagedichte. Sie bringen Momente der Erinnerung, schildern Wege und Phänomene, bieten Findungen und Erfindungen. Die Fantasie vermag in den Körper des Faktischen zu schlüpfen - etwa wenn Steger flunkert, aus einer verschollenen Notiz zum Bericht von Humboldts sibirischer Expedition des Jahres 1829 vom Stamm der Tudara zu wissen, die friedlich mit Braunbären gelebt und sich nur mittels Zeichencodes sowie eines merkwürdigen Summens verständigt hätten. Aus einfachen, alltäglichen Handlungen blitzt existenzieller Sinn, nach zweitägigem Hausputz: "alles, was ich tue, ist ein Umverteilen von Staub." Und die scheinbaren Kleinigkeiten des Körpers provozieren poetische Bilder: "Das größte Geheimnis sind Nägel. Immer wieder schneide ich sie, widerspenstig flüchten sie aus dem Fleisch. Als fürchteten sie sich vor dem Körper." Dichtung schafft neue Wortbauten, "das Zusammensetzen des zertrümmerten Babylon", schreibt S teger und fragt programmatisch, was denn das Sichtbare sei, "wenn das Unsichtbare doch immer unsere letzte Bestimmung bleibt?"

Wir würden uns durch Buchstaben vermehren, heißt es in einem der Prosagedichte. Den Buchstaben des slowenischen Alphabets folgt der dritte Teil des Bandes, "Dann". Hier stellt der Dichter in schmalen Textstreifen Wörter aus, die ein Skelett seiner Poesie bilden mögen. Man liest oben rechts das slowenische Wort, etwa "Beseda gol", über der Übersetzung: "Das Wort ganz nackt. / Jeder / Ausgezogen / Bis auf seine / Einzige Sprache." Und am Ende dieses Gedichts das leitmotivische Entstehen/Vergehen: "Langsam versickert / Das nackte Wort im / Aufgewühlten Schlamm. / Körper, der / Verschwindet im / Zitat."

Ales Steger ist derart ein faszinierend schillernder Textkörper gelungen, der Wort-Welten erstehen lässt, mit Realien und Mythenfragmenten, über Schreiben und Lesen, über Verwandlungen ("das Gedicht verpuppt sich"), mit literarischen Anspielungen (Celan, Rilke und andere). Buchstaben, Wörter als Nahrung - unter dem slowenischen Wort für "fehlst" steht: "Wir füttern / Mit Sprache."    (Klaus Zeyringer, Album, DER STANDARD, 29./30.12.2012)