In Deutschland ein Überraschungserfolg: "Oh Boy" mit Tom Schilling (als Niko).

Foto: Filmladen

Wien - Ein unausgeschlafener junger Mann verlässt eines Morgens Bettstatt und Wohnung einer jungen Frau. Es dürfte ein Abschied für immer sein. Der junge Mann beginnt alsbald eine Wanderung durch seine Heimatstadt Berlin. Eigentlich will er nur einen "ganz normalen" Kaffee. Aber alles Mögliche steht diesem Vorhaben im Wege, nicht zuletzt eine grassierende Verkultivierung (und Kommerzialisierung) aller Lebensbereiche. Diese macht nun auch dem gemeinen Filterkaffee den Garaus und verlangt dem zahlenden Kunden abgesehen vom überhöhten Preis auch eine Vielzahl von Entscheidungen und mühevolle Kommunikation ab.

Episoden wie das lapidare Beziehungsende eingangs oder den Bestellvorgang in einem Hipster-Coffeeshop hat Autor und Regisseur Jan-Ole Gerster in seinem Filmhochschulabschlussfilm und Kinodebüt Oh Boy zu einem Parcours aufgefädelt, den sein von Tom Schilling stimmig verkörperter Protagonist Niko einen Tag und eine Nacht lang mehr durchstolpert als durchläuft. Niko ist Tagedieb, Scheinstudent, einer, der mit Ende zwanzig noch nicht weiß, was er im Leben will.

Er ist also selbst Vertreter einer anachronistischen Spezies, dessen anachronistisches Begehr nach ein bisschen Ruhe, ein wenig Abenteuer und einer gepflegten Tasse gewöhnlichen Kaffees folglich von Anfang an auf Konflikt und Enttäuschung hinausläuft. Das ist in der Grundanmutung sympathisch, im schwarz-weißen Bild dann schnell einmal etwas zu stilisiert und nicht in jeder, mitunter allzu zwangsläufig auf einen Schlussgag hinauslaufenden Episode überzeugend.

Etliche der geschilderten Kalamitäten, in die der stadtneurotische Held gerät - beispielsweise der Weg vom Coffeeshop zum Geldautomaten und von dort zur folgenschweren Erkenntnis, dass mit dem Konto von Papas Gnaden etwas nicht stimmt -, sind jedoch schön arrangiert (auch musikalisch), bis hin zum klassisch kathartischen Umschwung gen Ende. In Deutschland entwickelte sich Oh Boy zum kleinen Arthouse-Überraschungserfolg, und als melancholischer Jahresauskehrschwung für Twentysomethings hat das auch schon was.      (Isabella Reicher, DER STANDARD, 31.12.2012/1.1.2013)