Bernd Vogl, Leiter der Wiener Energieabteilung, ist für den Ausbau des Rad- und eine Eindämmung des Autoverkehrs.

Foto: Stefen Duchon

Die Städte wachsen, und mit ihnen der Energiebedarf. Um diesen in Wien nachhaltig decken zu können, setzt die Stadt verstärkt auf erneuerbare Energien. Angesichts der immer knapper werdenden Energieressourcen fordert Bernd Vogl, Leiter der Magistratsabteilung für Energieplanung, mehr Energieeffizienz bei Gebäuden und eine Eindämmung des Autoverkehrs.

derStandard.at: Wie weit ist Wien bei der Umstellung auf erneuerbare Energie im internationalen Vergleich?

Vogl: Wien befindet sich weltweit unter den Vorreitern, was die effiziente Verwendung von Energie und den Einsatz von erneuerbaren Energieformen angeht. Es gibt ein paar nordeuropäische Städte, die noch weiter sind, zum Beispiel beim Ausbau des Radverkehrs und in der Fernwärmenutzung aus erneuerbaren Quellen. Wien hat einen Anteil von rund zehn Prozent erneuerbarer Energie, was für eine große Stadt sehr viel ist.

In der noch bis Ende März laufenden Ausstellung "Energie.Stadt.neu.denken" in der Wiener Planungswerkstatt zeigen wir, wie sich das Energiesystem in Wien in den vergangenen 150 Jahren entwickelt hat. Ausgangspunkt der Energieversorgung waren schon damals erneuerbare Energieformen wie Holz. Dann kamen fossile Energieträger auf den Markt, welche die Entwicklung zwar enorm angetrieben haben, aber auch zu Fehlentwicklungen wie zum Beispiel im Verkehrssystem geführt haben.

Die steigende Ressourcenknappheit und Überlegungen zum Umweltschutz machen die Umstellung auf erneuerbare Energieträger notwendig. Das ist aber ein Veränderungsprozess, der 30 bis 40 Jahre in Anspruch nehmen wird.

derStandard.at: Mit welchen Projekten will Wien erneuerbare Energieformen forcieren?

Vogl: Wir stehen vor einer totalen Veränderung der Energiemärkte. Die Wiener Stadtwerke versuchen zum Beispiel mit Modellen wie Bürger-Solarkraftwerken und Pachtanlagen hier anzuschließen.

Dass es beispielsweise in der Photovoltaik in den vergangenen Jahren so starke Entwicklungen gegeben hat, hätte niemand gedacht. Da wird jedes Jahr mehr zugebaut als prognostiziert. Wird eine Photovoltaikanlage auf ein Bürogebäude gebaut und der Strom direkt vor Ort verbraucht, kommt das bereits günstiger, als wenn Strom eingekauft wird.

derStandard.at: Die Gaskraftwerke der Wien Energie erzeugen nahezu 90 Prozent des Stroms für die Stadt, machen aber Verluste. Ist das ein Grund, wieso neue Zugänge angedacht werden?

Vogl: Das ist auch ein Grund und hängt damit zusammen, dass erneuerbare Energieformen zu gewissen Zeiten in sehr hohem Ausmaß im Netz sind. Der Strom der Gaskraftwerke muss dann fast verschenkt werden.

Rund um Wien entstehen Windanlagen mit einer Leistung von drei bis vier Atomreaktorblöcken. Wenn der Wind weht, ist in der Region enorm viel Strom. Bläst der Wind nicht, sollten Gaskraftwerke in Wien eingeschaltet werden, um Strom zu produzieren. Dieses Zusammenspiel funktioniert noch nicht.

derStandard.at: Welche erneuerbaren Energieformen sind für die Stadt geeignet?

Vogl: Die großen Potenziale liegen in der Umweltwärme, das heißt der Grundwasserwärme und der Erdwärme. Andere Zukunftsbereiche sind die Solarthermie und die Photovoltaik. Das sind jene emissionsfreien Energieträger, die man in der Stadt gut ausbauen kann. Aber auch diese können nicht die ganze Energie in Wien bereitstellen. Ein Ballungsraum wie Wien wird immer in irgendeiner Form von Energie von außen abhängig sein.

derStandard.at: Die Idee einer autarken Stadt bleibt also illusorisch?

Vogl: Das wissen wir nicht so genau. Zurzeit fehlen noch Speichertechnologien für erneuerbare Energien. Wenn wir solche zur Verfügung haben und die Energien vom Sommerhalbjahr ins Winterhalbjahr speichern können, sieht das ganz anders aus. Wir haben genug solare Erträge in der warmen Jahreszeit, um Stadtteile zu versorgen. Eine Möglichkeit zu finden, wie diese gespeichert werden können und auch dann zur Verfügung stehen, wenn die Sonne nicht scheint, ist eine Herausforderung.

derStandard.at: Wie kann man Hauseigentümer vom Bau einer Photovoltaikanlage überzeugen?

Vogl: Die Anlagen werden immer billiger, und zusätzlich gibt es in Wien auch noch eine Förderung. Bei Neubauten gibt es eine Gebäuderichtlinie, in der steht, dass man erneuerbare Energien auf Gebäuden nutzen soll. Die Richtlinie ist aber nicht genau definiert. Aus meiner Sicht könnte in Regulierungen festhalten werden, dass gewisse Solarkapazitäten in Gebäuden mitzubauen sind.

derStandard.at: Was hat Wien energiepolitisch in den vergangenen Jahren versäumt?

Vogl: Das ist eine schwierige Frage, weil die Energiemärkte so dynamisch sind, dass sich derzeit alle fünf Jahre der Zugang ändert. Problematisch ist im Energiebereich generell, dass Energieversorger wie auch die Stadtwerke in der Vergangenheit Monopolstellungen hatten und daher große Verwaltungen aufgebaut wurden. Das ist gut für die Sicherheit, mit Innovationen tun sie sich dagegen schwer. Durch die Liberalisierung und die neuen Technologien des Strommarktes finden hier aber bereits positive Veränderungen statt.

derStandard: Wien Energie will bis 2030 rund 50 Prozent des Strom- und Wärmebedarfs mit erneuerbarer Energie abdecken. Das Geothermie-Projekt in der Seestadt Aspern liegt aber nun auf Eis. Ist das Ziel dennoch realistisch?

Vogl: Hoffnungen in das Projekt gab es sowohl von der Wien Energie als auch der Stadt Wien. Das sind ganz schöne Mengen Energie, die da nun verloren gehen. Für Wien Energie wird es schwieriger, das gesteckte Ziel bis 2030 zu erreichen. Das Unternehmen kann aber außerhalb von Wien in erneuerbare Energieformen investieren.

derStandard.at: Inwieweit sind undichte Fenster oder schlechte Isolation bei Gebäuden ein Problem für den Energieverbrauch in der Stadt?

Vogl: Wir können zwar gewisse erneuerbare Energieformen in der Stadt ausbauen; wenn wir den Verbrauch nicht reduzieren, ist der Umstieg auf diese aber nicht machbar. Eines der wichtigsten Energiesparpotenziale im städtischen Bereich liegt deshalb im Gebäudesektor.

Allerdings fehlt es hier auch an rechtlichen Rahmenbedingungen, zum Beispiel im Mietrechtsgesetz auf Bundesebene. Das ist auch eine soziale Frage: Wenn Energie wirklich teuer und knapp wird, müssen gerade im sozialen Wohnbau gute thermische Standards geschaffen werden.

derStandard: Wie stark sind hier die Unterschiede zwischen Stadt und Land?

Vogl: Im städtischen Raum ist Energie ein wichtiges Thema, aber lange nicht so präsent wie am Land, wo Leute durch den Umbau oder Neubau eines Hauses mit dem Energiethema konfrontiert werden. In Wien ist das Thema der Energieversorgung für die einzelnen Bewohner eher weiter weg. Sie bekommen zwei Energierechnungen im Jahr, die vom Konto abgebucht werden. Dabei ist den meisten gar nicht bewusst, was das genau für Abbuchungsaufträge sind.

derStandard.at: Die Anzahl der elektrischen Geräte in den Haushalten steigt, viele von ihnen laufen im permanenten Standby-Modus. Inwieweit sind die Bürger selbst am steigenden Energieverbrauch schuld?

Vogl: Es stimmt nicht, dass der Energieverbrauch überall steigt. Im Gebäudesektor haben wir durch Sanierungen eindeutig sinkende Energieverbräuche. In der Stadt haben wir Tendenzen, dass sich der Stromverbrauch auf einem gewissen Niveau stabilisiert.

Der große Energieverbrauchstreiber in Österreich ist der Verkehr. Durch den Profit aus den Steuereinnahmen auf Sprit gibt es dafür auch politische Gründe. Das heißt, wir haben CO2- und Energieverbrauchsanstiege auch hausgemacht, und es macht sehr viel von den Einsparungen wett, die andere Bereiche bringen.

derStandard: Wie lässt sich der Autoverkehr eindämmen?

Vogl: Über den Benzinpreis ist das schwierig, denn dieser ist in den vergangenen Jahren stark gestiegen, und trotzdem gibt es mehr Verkehr. Das Ziel, weniger Autos in den Städten zu haben, kann nur erreicht werden über gemeinsame raumplanerische Aktivitäten, einen Ausbau der Angebote im öffentlichen Verkehr und das Attraktivieren des Fahrrads.

Täglich strömen aus dem Süden 70 Prozent der Pendler mit dem Auto nach Wien. Wenn die alle auf den Zug umsteigen, geht sich das kurzfristig nicht aus. Zusammenhängende Konzepte mit funktionierender Infrastruktur wären hier wichtig – etwa Park-and-ride-Anlagen auch für Radfahrer. Solche Systeme können aber nur langfristig in zehn bis zwanzig Jahren geplant werden. (Elisabeth Mittendorfer, derStandard.at, 10.1.2013)