Haufenweise "Frauenliteratur". Von "Männerliteratur" weiterhin keine Spur.

Foto: diestandard.at/Nigischer

Das Regal "Freche Frauen" in Thalia Mariahilferstraße in Wien. Was eigentlich ist frech an Büchern für freche Frauen?

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Beim führenden Buchhändler des Landes, Thalia Österreich, sorgen beschriftete Regale für Übersicht. Literatur zum Thema "Yoga" findet sich im Regal "Yoga", wer sich für das Thema Religion interessiert, wird im Regal "Religion" fündig.

"Freche Frauen"

Für Frauen gibt es gar ein eigenes Regal – Thalia St. Pölten führt in seiner Filiale ein Regal mit "Frauenliteratur", in Wien Mariahilf heißt es "Freche Frauen" und in Wien Landstraße schlicht "Frauen". Zu finden ist dort überall das Gleiche: Die Suche nach Mr. Right als wichtiges Lebensziel zwischen zwei Deckel gepresst. Bücher, die gerne als "Schnulzen" oder "Groschenromane" belächelt werden, Bücher, auf deren pastellfarbenen Covers sich etwa Illustrationen von langen Beinen in High Heels finden. Eben genau das, was Frauen lesen – oder?

Susanne Hochreiter vom Institut für Germanistik an der Universität Wien findet eine solche Begriffsverwendung von "Frauenliteratur" nicht respektvoll: "Damit vermittelt man im Vertrieb: Die romantischen G'schichterln sind für Frauen. Alles andere sind die richtigen Bücher."

"Frauenliteratur" in der Literaturwissenschaft

Nicht nur der Markt, auch die Literaturwissenschaft kennt den Begriff der "Frauenliteratur": Er beschreibt zwei Literaturtypen, die mehr trennt als verbindet: Zum einen meint er von Frauen verfasste Literatur, die sich vor allem ab den 1970er-Jahren Diskriminierung und Sexismus widersetzt und bewusst Interessen von Frauen vertritt. Der Münchner Germanist Günter Häntzschel findet etwa bei Ingeborg Bachmann, Karin Struck, Barbara Frischmuth oder Herta Müller "fraueneigene Erfahrung" thematisiert, Betroffenheit, Bewusstsein in teils "komplizierter Brechung" mit "artifizieller Erzählperspektive".

Dann beschreibt Frauenliteratur in Lexika aber auch jene Produkte, die sowohl Männer als auch Frauen für weibliches Publikum schreiben: Hier wird ein bestehendes (patriarchalisches) Weltbild nicht in Frage gestellt, sondern gängige Klischees von weiblicher Identität reproduziert. Dass sich mit dieser Literatur unter dem Titel Frauenliteratur viel Profit erzielen lässt, weiß der Handel bereits seit fast 100 Jahren.

Thalia ist mit dieser Etikettierung nicht alleine. Viele Verlage, wie etwa die zweitgrößte deutschsprachige Verlagsgruppe Random House, Online-Händler oder LiteraturkritikerInnen hantieren mit "Frauenliteratur" als scheinbar unproblematischen Begriff für romantische Unterhaltungsliteratur. Wer hingegen nach "Männerliteratur" Ausschau hält, sucht vergebens.

Frauen aus Literaturbetrieb ausgeschlossen

Auch wenn romantische Komödien großen Absatz finden und ihre LeserInnen fast ausschließlich Frauen sind, die ihre Romane im Handel auch rasch finden möchten – die Gleichsetzung von "Frauenliteratur" mit der populären Unterhaltungsschiene trifft einen fundamentalen, sehr wunden Punkt: "Frauenliteratur" erfährt so eine pejorative Bedeutung – und das, nachdem Frauen über Jahrhunderte überhaupt vom Kulturbetrieb ausgeschlossen wurden. Dies geschah nicht, weil es ihnen an Genialität gemangelt hätte, sondern weil man ihnen künstlerische Begabung als ihrem Wesen nicht gemäß absprach, schreibt Lydia Schieth in ihrer Untersuchung "Frauenliteratur".

Ein Brief von Friedrich Schiller an Johann Wolfgang von Goethe verdeutlicht das: "Ich muss mich doch wirklich darüber wundern, wie unsere Weiber jetzt, auf bloß dilettantischem Wege, eine gewisse Schreibgeschicklichkeit sich zu verschaffen wissen, die der Kunst nahe kommt." Texte von Frauen haben lange schlichtweg als ästhetisch minderwertig und unprofessionell gegolten. Die Folge: Frauen haben privat Tagebücher, Briefe geschrieben, Werke anonym oder unter (männlichem) Pseudonym veröffentlicht, etwa dem Namen des Ehemannes oder Verlegers. Die Idee vom männlichen Kreator, vom Genie hat sich lange gehalten.

Ausschluss von Autorinnen

Benachteiligungen gebe es noch heute, erklärt Literaturwissenschafterin Susanne Hochreiter, noch immer würden schreibende Frauen nicht ganz ernst genommen werden: "Bei bestimmten Veranstaltungen, bei Preis- oder Stipendienvergaben kommt es immer wieder explizit zu Ausschlüssen, sexistischen Anspielungen und Witzen, an die sich Frauen offensichtlich gewöhnen sollen." Viele avantgardistische Autorinnen hätten große ökonomische Schwierigkeiten, nur wenige Frauen würden sich im Segment einer "Ober-Liga" befinden wie Elfriede Jelinek, die zwar leidenschaftlich gehasst werde, aber immerhin ein "Standing" hätte, so Hochreiter.

Von Kränkungen berichtet auch die junge Grazer Schriftstellerin Sophie Reyer im Mail-Verkehr mit Autorin Petra Ganglbauer, festgehalten im Band "Zeitenwende": "Ich wurde letzten Herbst mit einer Gruppe steirischer Autoren – ausschließlich Männer – zur Frankfurter Buchmesse geschickt und von Anfang an scheinbar scherzhaft als 'Quotenfrau‘ bezeichnet. Das hier sei nur ein Beispiel."

Bezeichnung laut Thalia branchenüblich

Bei Thalia betont man, dass man mit der Bezeichnung Frauenliteratur Frauen nicht vor den Kopf stoßen wolle. "Wir hatten noch nie Beschwerden von Kundinnen oder Kunden zu diesem Thema. Die Bezeichnungen sind absolut branchenüblich und geläufig. Wenn es dazu andere, bessere Vorschläge und Lösungen gibt, sind wir dafür natürlich gerne offen", erklärt Josef Pretzl, Geschäftsführer von Thalia Österreich.

Einreihung in Genres erwünscht

Eine respektvollere Lösung wäre für die Germanistin Susanne Hochreiter eine Bezeichnung im Handel, die sich auf den Inhalt bezieht und nicht auf potentielle KäuferInnen: "Man sollte Genres nicht geschlechtlich markieren. So wie es Regale gibt, auf denen 'Krimi' oder 'Comic' steht, könnte man etwa schreiben: Liebesroman. Man sollte sich daran gewöhnen, dass auch die Literatur von Autorinnen Literatur ist und unter Genrebezeichungen auffindbar ist. Personen, die diese Sorte Literatur lesen, werden sie auch so finden."

Dass der ganze Markt eben nun einmal mit gewissen Begriffen hantiere, lässt auch Verlegerin Vanessa Wieser vom Milena Verlag nicht gelten: "Der Begriff 'Frauenliteratur' ist dann für alle Ewigkeit festzementiert. So schön es ist, wenn Zielgruppen sich selbst erkennen, so gefährlich ist es, andere damit auszuschließen." Wenn ein Geschlecht als literarisches Konzept herhalten muss, bestehe die Gefahr, dass sämtliche Literatur von Frauen oder für Frauen von vielen Männern einfach nur als Witz wahrgenommen werde. (Sandra Nigischer, diestandard.at, 10.1.2013)