Albertina-Gastspiele: 2006 kuratierte Werner Spies die Picasso-Ausstellung "Malen gegen die Zeit", aktuell verantwortet er die erste Retrospektive zu Max Ernst in Österreich.

Foto: STANDARD / Heribert Corn

Über alle Zweifel erhaben: 2011 ersteigerte ein europäischer Sammler bei Christie's in New York für fast 12 Millionen Euro "The Stolen Mirror" (1941), der gültige Künstlerweltrekord für Max Ernst .

Foto: Christie' s-Katalog

Bild nicht mehr verfügbar.

Über den Kunsthandel gelangte das vermeintlich von Max Ernst geschaffene Gemälde "La Horde" für 2,7 Millionen Euro in die von Werner Spies beratene Sammlung Würth. 37.000 Besucher bewunderten die Fälschung 2010 im Museum der Moderne in Salzburg ("Albtraum und Befreiung - Max Ernst in der Sammlung Würth").

Foto: STANDARD-Archiv / Montage: H. Seywald

Ernsts "Leonora im Morgenlicht": Im Mai 2012 wurde das Gemälde aus dem Jahr 1940 bei Sotheby's in New York von mehreren Interessenten heftig umworben. Für 7,92 Millionen Dollar (rund 6 Millionen Euro) wechselte es in eine südamerikanische Sammlung und gastiert nun im Rahmen der Retrospektive in der Albertina in Wien.

Foto: Sotheby's

Welcher Künstler war mit der Sammlerin Peggy Guggenheim verheiratet? A. Hans Arp, B. Salvador Dalí, C. Marcel Duchamp oder D. Max Ernst? Die letzten "Jokerle" hatte Thomas Reich zuvor geopfert, für die Antwort auf die Millionenfrage fehlten dem Niederösterreicher im November 2007 sowohl das Wissen als auch der Mut. Er entschied sich für die sicheren 300.000 Euro, wiewohl er intuitiv auf die richtige Lösung getippt hätte. Pech. Max drängte sich zwischen Thomas und den Hauptgewinn. Reich blieb Reich, Ernst ein Künstler, der den Beinahemillionär seither vermutlich im Hinterkopf begleitet.

Eine authentische Arbeit oder doch die eines Nachahmers? Das ist jene Fragestellung, mit der sich Fachleute auf ihrem jeweiligen Terrain tagtäglich und im Laufe eines Berufslebens wohl hundertfach beschäftigen. Sofern es beispielsweise um bislang unbekannte Werke verstorbener Künstler geht. Auf dem Kunstmarkt handelt es sich dabei - im wahrsten Sinn des Wortes - um eine Preisfrage. Denn das Urteil entscheidet über Werte, nicht selten auch in Millionenhöhe.

Aus Beltracchi wurde Ernst

Etwa im Falle von Max Ernst und der für sein Oeuvre über Jahrzehnte weltweit anerkannten Autorität Werner Spies. 6.000 begutachtete Werke, an die 400 entlarvte Fälschungen, soweit die offizielle Bilanz bis zum Herbst 2010. Bis zu jenem denkwürdigen Moment, in dem sich Spies ein Albtraum offenbarte, bei dem Wolfgang Beltracchi und Komplizen über Jahre Regie geführt und ihm, dem ehemaligen Direktor des Centre Georges Pompidou (1997- 2000), dem namhaften Autor und Kurator legendärer Ausstellungen alles andere als eine Nebenrolle zugedacht hatten. Die heimtückischen Zutaten: eine fingierte Provenienz ("Sammlung Jägers") und Kunstwerke, die sich in der Qualität deutlich von plumpen Kopien unterschieden. Dass Werner Spies am Ende nicht das einzige Täuschungsopfer sein sollte, ist ihm vermutlich bis heute kein Trost.

Das Gros der Betroffenen war dem Flutlicht des Skandals nur kurz ausgesetzt, etwa die Campendonk-Spezialistin Andrea Firmenich oder die offiziell namenlosen Mitarbeiter renommierter Auktionshäuser ebenso wie die Nachfahren diverser Künstler. Spies jedoch, der Kurator der Retrospektive im Metropolitan Museum (New York, 2005), Koverfasser des Oeuvrekatalogs (1987, Ergänzungsband in Vorbereitung), wurde aufgrund seiner Prominenz zum Synonym der Fehlbarkeit.

Denn er irrte nicht ein-, auch nicht zwei- oder drei-, sondern (zumindest) siebenmal. "Das abgebildete Werk wird in das von mir verantwortete Werkverzeichnis aufgenommen", hatte er auf die Rückseite von Fotos des betreffenden Septetts bestätigt, das von der Beltracchi-Bande anschließend erfolgreich in den Markt geschleust wurde. Darunter Tremblement de Terre (2009, Sotheby's, 1,14 Mio. Dollar) oder La Forêt 2, das nach einer Ausstellung im von Spies initiierten Max-Ernst-Museum (Brühl) 2006 für sieben Millionen Dollar in einer New Yorker Privatsammlung landete.

Und Spies war über Provisionen an diesen Deals finanziell beteiligt: 400.000 Euro bekam er allein von den Beltracchis, dazu eine unbekannte Summe vom Kunsthändler Marc Blondeau. Über den vormaligen Sotheby's-Chairman (bis 1987) lief auch die Transaktion von La Horde, ein vermeintlich aus 1927 datierendes Gemälde, das er über Christie's 2006 (3,5 Mio. Pfund) zu versteigern versuchte und schließlich für 2,7 Millionen Euro in die von Werner Spies beratene Sammlung Würth abtrat.

Als deutsche Medien im Herbst 2010 den größten Fälschungsskandal in der Geschichte des europäischen Kunstmarkts aufdeckten, gastierte dieses Kuckucksei gerade in Salzburg, im Zuge der Ausstellung "Albtraum und Befreiung" im Museum der Moderne. Rund 37.000 Besucher bewunderten die dort präsentierten Ernst-Odien aus der Kollektion des schwäbischen Unternehmers Reinhold Würth.

Zwölf Monate später wurden die Beltracchis für 14 nachweisbare Fälle von einem Kölner Gericht zur Verantwortung gezogen. Und während ein europäischer Privatsammler bei Christie's in New York mit 16,32 Millionen Dollar den neuen Künstlerweltrekord bewilligte, trat der Meisterfälscher seine sechs Jährchen im offenen Vollzug an. Das ganze Ausmaß jedoch bleibt weiterhin im Dunkeln. 35 Jahre war er im Geschäft und schuf in dieser Zeit Falsifikate von rund 50 verschiedenen Künstlern. An die 200 dürften unerkannt in Privatsammlungen und renommierten Museen schlummern.

Nicht so in der Albertina, wo nun (23. 1. bis 5. 5.) die erste Retrospektive des Surrealisten in Österreich anberaumt ist. Im Einvernehmen mit Werner Spies werden nur Arbeiten gezeigt, die bereits im ersten Werkverzeichnis von 1987 erfasst wurden. "Wir zeigen Max Ernst, nicht Wolfgang Beltracchi", bringt es Klaus Albrecht Schröder auf den Punkt.  (Olga Kronsteiner, Album, DER STANDARD, 12./13.1.2013)