Der Sänger und Kabarettist George Nussbaumer liebt seinen Platz im Klangdreieck der Stereoanlage. Der Bär daneben hat sich einfach einquartiert.

Foto: Christian Grass

Der Vorarlberger Soul-Sänger und Musiker George Nussbaumer ist von Geburt an blind. Er macht sich sein Bild von der Umwelt mit den Händen. Wie sich Wohnen anfühlt, erzählte er Jutta Berger.

"Wohnen ist für mich vor allem Wohlfühlen. Wenn man nichts sieht, dann ist auch das Wohlbefinden wahrscheinlich ein ganz anderes. Bei mir geht es nicht um das Bild, sondern um das Haptische. Für mich setzt sich die Umgebung aus vielen kleinen Puzzle-Teilchen zusammen. Ich erlebe die Welt in Makros. Ein Haus als Ganzes kann ich mir nicht vorstellen, für mich existiert immer nur genau der Bereich, in dem ich mich im Moment gerade aufhalte.

Wenn ich Möbel oder Materialien aussuche, so mache ich das mit den Händen. Farben spielen keine Rolle, aber die Oberfläche, die Form, die muss sich gut anfühlen. Deshalb ist mir beispielsweise auch der Lehmputz so wichtig. Er fühlt sich fein an. Als wir das Haus 1995 gekauft haben, gab es den noch nicht. An den Wänden war ein fürchterlicher Rauputz, an dem ich mir beim Vorbeigehen die Arme aufgeschürft habe.

Das Ledersofa im Wohnzimmer ist mein persönliches Wohlfühlmöbel. Die Oberfläche ist an manchen Stellen ganz glatt, dann wieder rauer. Ich finde das sehr spannend. Mein Lieblingsplatz ist am rechten Ende des Sofas, hier entspanne ich, lese oder höre Musik. Das ganz Entscheidende ist: Ich sitze hier genau im Stereodreieck der Musik. Schon als Bub hab ich mir gedacht, man müsste sich einmal ein Haus rund um die Stereoanlage bauen!

Ich war als Kind ein großer Legohausbauer, aber bei den anderen Kindern sind meine Häuser nicht so gut angekommen, wegen der komischen Farben. Ich wusste also: Selber bauen ist keine gute Idee. Daher haben wir ein bereits bestehendes Haus gekauft. Es steht auf einer Anhöhe in Alberschwende im Bregenzerwald. Wir haben es im Sommer gekauft, da war die steile Auffahrt im Winter noch kein Thema. Meine Lebensgefährtin wollte eine schöne Aussicht, ich einen guten Empfang für die Satellitenanlage. Der weite Horizont war so gesehen uns beiden wichtig.

Die Entscheidung für das eigene Haus hat mich vier schlaflose Nächte gekostet. Schließlich hat der Wunsch nach einem eigenen Platz zum Proben mit meinen Musikerkollegen gesiegt. Kein Vermieter sollte mehr mit Kündigung drohen können! Ich hab mir hier meine Arbeitswelt, mein eigenes Studio, geschaffen. Das Schöne am Arbeiten daheim: Ich wohne nicht nur am Wochenende.

Weil mir der sogenannte Überblick fehlt, müssen die Dinge immer am selben Platz sein. Auf- und Umräumen ist für mich eine große Herausforderung, da muss ich den Speicher im Gehirn komplett neu organisieren. Wenn ich etwa auf dem Tisch nach etwas suche, dann mache ich das ganz vorsichtig. Sehende lassen ja gerne ein Glas oder eine Tasse halb voll stehen. Es gibt natürlich mittlerweile viele akustische Hilfsmittel für Blinde. Ich verlasse mich aber lieber aufs Greifen und Fühlen. Sehr froh bin ich aber über die Induktionstechnik in der Küche. Ich verbrenne mich nicht mehr.

Ich höre die Schallreflexionen von Gegenständen, die in Kopfhöhe sind. Ja, ich höre die Wände! In moderner Architektur mit großen Räumen, in denen fast nichts steht, fällt mir die Orientierung schwer, weil es kaum etwas zu hören gibt. Die Optik hat in unserer Gesellschaft leider eine sehr große Bedeutung. Design ist extrem wichtig geworden. Immer mehr Leute definieren sich über Äußeres. Schon ein bisschen erschreckend, finde ich, weil es so von sich selbst ablenkt.

Ob ich Stofftiere mag? Ach, man bekommt viele Dinge geschenkt, die man nicht wirklich braucht. Die Geburtenrate bei diesen Stofftieren ist ziemlich hoch. Ich weiß zwar, dass sie da sind, aber wirklich existent sind sie nur, wenn ich mit meinen Händen über sie stolpere oder wenn man mich darauf anspricht." (DER STANDARD, 12./13.1.2013)