Bitte hier ein Fenster und hier einen Balkon! Die künftigen Mieter des Wohnhauses "sovieso" haben ihre Wohnung in Absprache mit den Architekten innen und außen mitplanen können.

Visualisierung: Schreiner Kastler

Fertigstellung ist für Herbst 2013 geplant.

Visualisierung: Schreiner Kastler

Die Fenster sind mal groß, mal klein, mal hoch, mal quer, mal mit Balkon, mal ohne. Der Zufallsgenerator an der Fassade ist jedoch keineswegs Willkür des Architekten, sondern Resultat eines Partizipationsprozesses, bei dem die zukünftigen Mieter über die Wohnungslage, Wohnungsgröße sowie über die genauen Grundrisse mitbestimmen konnten.

"Wir haben das Projekt von Anfang an modular aufgebaut", sagt Renate Langerreiter, Projektleiterin bei s&s architekten. "So waren wir bis zur letzten Wohnung sowohl mit der Statik als auch mit der Haustechnik ausreichend flexibel, um auf die Wünsche der künftigen Bewohner reagieren zu können."

Solidarisch geplant

Derzeit befindet sich das Wohnhaus "sovieso" in der Nähe des neuen Wiener Hauptbahnhofs - die Abkürzung steht für "Sonnwendviertel solidarisch" - in Bau. Im Herbst sollen die 111 Wohnungen übergeben werden.

Die Planung war mehr als solidarisch: Auf Basis eines 1,15-Meter-Rasters wurden unterschiedliche Grundrissvarianten entwickelt, aus denen die künftigen Mieter frei wählen konnten. Wem das immer noch zu wenig war, der durfte zu Stift und Papier greifen und seine Traumwohnung selbst entwerfen. In einem Gespräch mit den Architekten - jeder Mieter hatte Anspruch auf eine kostenlose Beratungsstunde - wurde schließlich das endgültige Layout der Wohnung bestimmt.

"Eigentlich haben fast alle Bewohner von dieser Möglichkeit Gebrauch gemacht", erklärt Langerreiter. "Einige Besprechungen haben sich lange hingezogen, doch in den meisten Fällen waren wir in 20, 30 Minuten fertig."

Kosten bleiben gleich

"Natürlich ist der Planungsaufwand größer als bei einem herkömmlichen Projekt", sagt Robert Pfeffer, Bauträger BWS, zuständig für Vertrieb und Marketing. "Doch wenn man die Möglichkeit der Mitbestimmung vom Vorentwurf an berücksichtigt, dann hält sich der tatsächliche Mehraufwand in Grenzen. Und auf die Baukosten hat so ein Mitbestimmungsverfahren sowieso keinen Einfluss."

Auch auf den Mietvertrag hat die Partizipation keinerlei Auswirkungen. Die finanzielle Belastung für den Mieter ist nicht höher als bei jedem anderen hochwertigen Wohnprojekt im geförderten Wohnbau: Die Mietverträge im "sovieso" sind unbefristet, die Mietkosten liegen bei durchschnittlich 7,20 Euro pro Quadratmeter, und der Eigenmittelanteil beläuft sich auf 520 Euro pro Quadratmeter.

Ein ähnliches Projekt entwickeln die s&s architekten derzeit auch für den Bauträger Heimbau Eisenhof. In der Lorenz-Reiter-Straße in Simmering, nicht weit von den Gasometern, soll "smart wohnen" mit rund 150 Wohnungen entstehen. Im März startet die Vermarktung, die Fertigstellung ist für Ende 2015 geplant.

Maßgeschneidert

"Wir haben uns ausgerechnet, dass die Baukosten um keinen Cent höher sind als bei einem Projekt von der Stange", meint Hermann Koller, Vorstandsmitglied bei Heimbau Eisenhof, "und die Mehrkosten in der Planung liegen bei rund 0,2 Promille. Das fällt nicht wirklich ins Gewicht. Für mich ist das durchaus ein sinnvoller, gangbarer Weg für die Zukunft des geförderten Wohnbaus."

Welche Vorteile sich aus der Mitbestimmung beziehungsweise Partizipation ergeben, weiß Robert Temel, Vorstand der Initiative für gemeinschaftliches Bauen und Wohnen. "Aus Erfahrung kann ich sagen, dass sich die meisten Teilnehmer eines solchen Prozesses nicht nur nach einer individuellen, maßgeschneiderten Wohnung sehnen, sondern auch nach gelebter Nachbarschaft und entsprechend sorgfältig geplanten Gemeinschaftseinrichtungen", so Temel, "und wir wissen mittlerweile, dass in Häusern mit Mitbestimmungsmöglichkeit die Fluktuation deutlich geringer ist als in anderen Wohnhausanlagen."

Co-Bauherren in der Baugruppe

Gemeinsam mit gemeinnützigen Wiener Bauträgern entwickelt Temel in der Seestadt Aspern derzeit sechs unterschiedliche Baugruppen mit insgesamt 200 Wohnungen. Im Gegensatz zu klassischen Mitbestimmungsprojekten wie "sovieso" und "smart wohnen" haben die Mitglieder einer Baugruppe nicht nur Mitspracherecht bei der eigenen Wohnung, sondern können das gesamte Projekt mitentwickeln und beeinflussen - bis hin zu Behördenwegen und Projektfinanzierung. Sie sind sozusagen Co-Bauherr des Bauträgers. Ende 2014 sollen die ersten Baugruppler einziehen können.

Die ideale Baugruppengröße beziffert Temel mit etwa 30 bis 40 Wohnungen. "Darunter ist der Planungs- und Koordinationsaufwand unwirtschaftlich, darüber wird es meist schon sehr schwierig, zwischen den einzelnen Parteien einen gemeinsamen Nenner zu finden." Fix ist jedenfalls: "So ein Prozess macht nur dann Sinn, wenn die Baugruppe bereits konstituiert ist und sich in ihren Zielen und Vorstellungen einig ist."

Kein Glück im Sonnwendviertel

Das ist nicht immer der Fall. "Wir wollten im Sonnwendviertel ebenfalls ein Baugruppenprojekt realisieren, aber das hat leider nicht geklappt", sagt Ewald Kirschner, Generaldirektor der Gesiba, "die Baugruppen waren noch sehr jung, bei einigen Mitgliedern haben sich die Lebensumstände geändert, sie sind abgesprungen, am Ende haben sich die Baugruppen schließlich aufgelöst."

Nun soll der ursprünglich für die Baugruppen bestimmte Teil des Wohnprojekts "6+1" - insgesamt sind rund 270 Wohnungen geplant - stattdessen für kinderreiche Großfamilien und Sonderwohnformen wie etwa betreutes Wohnen genutzt werden. Ohne Baugruppen, dafür mit Mitbestimmungsmöglichkeit. "Das Angebot am geförderten Wohnungsmarkt in Wien ist heute bereits so groß", meint Kirschner, "da stellt sich die Frage, ob die Erfordernis nach aufwändigen Baugruppen überhaupt noch gegeben ist." (Wojciech Czaja, DER STANDARD, Print-Ausgabe, 19./20.1.2013)