Wenn die Lebensphase, die am unbeschwertesten sein sollte, in die historisch härteste Zeit fällt, ist das ein schweres Schicksal: Die Historikerin Martha Keil, Direktorin des Instituts für jüdische Geschichte Österreichs, beschäftigt sich mit dem Thema Kindheit während des Zweiten Weltkriegs und leitet das Projekt "Das Ende (m)einer Kindheit" über die Rettung jüdischer Kinder aus Österreich zwischen 1938 und 1941.

Vorliegende historische Arbeiten über die Kindertransporte während des Zweiten Weltkriegs thematisieren kaum das Selbstverständnis der Kinder und die Frage, "ob und wie sich diese noch als Kinder fühlten", erklärt Keil den Anspruch des Projekts. "Das ist unser Brückenschlag zu den heutigen Jugendlichen."

Finanziert durch Sparkling Science, das Nachwuchsforschungsprogramm des Wissenschaftsministeriums, arbeitet die Wissenschafterin mit Schülern und Schülerinnen der sechsten und siebenten Klasse der Gymnasien Josefstraße und Schulring in St. Pölten.

Das Klischee vom Kind als kleinem Erwachsenen ist längst überholt. Doch was es ausmacht, Kind zu sein, dazu gibt es nach wie vor unzählige Definitionen und Theorien. In den kommenden zwei Jahren wollen die Jugendlichen gemeinsam mit den Wissenschaftern diese Bandbreite von Kindheitskonstrukten hinterfragen und eigene Kriterien finden, an denen man das Kindsein festmachen kann.

Dazu sollen sie auch ihre eigene Geschichte reflektieren. In Hinblick auf das Forschungsthema sei etwa interessant, ob sie das Ende ihrer Kindheit als plötzlichen Bruch oder eher als schleichenden Prozess empfanden und welche Ereignisse hier ausschlaggebend waren, sagt Keil.

Basierend auf diesen Überlegungen, werden die Jugendlichen schließlich Interviews mit Zeitzeugen der Kindertransporte führen und auswerten. Der Fokus liegt auf den Fragen, was Kindsein in dieser Extremsituation bedeutet und ob diese einen zwangsläufig frühzeitig ins Erwachsensein zwingt.

In Workshops werden die Schüler in Interviewtechniken und im interdisziplinären Handwerk der Oral History trainiert. Zu lernen, mit Zeitzeugen zu arbeiten, sei in der Geschichtswissenschaft nach wie vor von Bedeutung, betont Keil; jene Stimmen zu hören, die in offiziellen Quellen nicht zu Wort kämen. "Es geht um das subjektive Erleben und Verarbeiten von Geschichte, um Selbstbild, Identität und Gedächtnis."

Die gewonnenen Forschungsergebnisse werden schließlich in einer Abschlusstagung präsentiert. Außerdem fließen sie in eine Dissertation über die Kindertransporte aus Österreich nach Skandinavien ein. (Julia Grillmayr, DER STANDARD, 23.01.2013)