Eigentlich hätte es am Sonntag vor einer Woche um die Frage "Berufsheer oder Wehrpflicht?" gehen sollen. In Wahrheit haben 74 Prozent derer, die für die Wehrpflicht gestimmt haben, für den Erhalt des Zivildienstes gestimmt. 64 Prozent haben gegen die Konzeptlosigkeit gestimmt.

Es war in der Debatte vor der Heeres-/Zivildienst-Volksbefragung in den letzten Wochen nicht möglich und gewünscht, über Ziele und Aufgaben der Landesverteidigung im 21. Jahrhundert zu sprechen. Fragestellung, Motiv und Zeitpunkt waren falsch. Zweifelsohne gibt es Reformbedarf in der österreichischen Verteidigungspolitik. Aber ich hätte über die Organisationsform des Heeres lieber erst dann abgestimmt, wenn klar gewesen wäre, was das Heer leisten soll.

Die SPÖ hat uns die Debatte in dieser Form beschert, weil sie ein Überraschungsmoment in einem Landtagswahlkampf brauchte.

Die ÖVP hat dies dankbar aufgenommen, weil sie sich davon zu Recht eine leicht gewonnene Wahl zu Beginn des diesjährigen Wahlmarathons versprach. Die ÖVP hat mit einem klaren Ziel, der besseren Strategie und geschlossenem Auftreten gewonnen.

Europas Armeen haben ...

Die Wahlbeteiligung war höher als erwartet. Es war das erste Mal, dass das Instrument der unverbindlichen Volksbefragung genutzt wurde. Das ist demokratiepolitisch gut. Aber über die eigentliche Frage gab es weder eine tiefgreifende gesellschaftliche Debatte noch direkte Mitbestimmung.

Deshalb war die Volksbefragung keine Sternstunde der Demokratie. Diese eigentliche Frage ist: Welche Rolle will und kann Österreich innerhalb der europäischen Sicherheits- und Verteidigungsarchitektur spielen? Was soll die Sicherheits- und Verteidigungspolitik Österreichs im Land selbst, in der EU und in der Welt sein?

Ich bin überzeugt, dass wir zwei Dinge brauchen: erstens ein grenzüberschreitendes europäisches Konzept für den Katastrophenschutz - selbstverständlich unter Berücksichtigung und Einbindung der existierenden Strukturen in den Mitgliedstaaten. Und zweitens eine viel stärkere Zusammenarbeit in der EU bei der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik. Am Ende des Weges sollte eine europäische Verteidigungsunion stehen.

Alle Armeen in Europa haben drei Probleme gemeinsam: ein Kostenproblem, ein Personalproblem und ein Effizienzproblem. Die EU-Mitgliedstaaten geben gemeinsam rund halb so viel für ihre Armeen aus wie die USA. Trotzdem - sagen Experten - haben die europäischen Streitkräfte nur 10 bis 20 Prozent der Effizienz der Streitkräfte der USA.

Moderne Armeen sind hochgradig technologisiert und brauchen mehr als in der Vergangenheit spezialisierte Fachleute. Gleichzeitig werden Armeen immer mehr zu mobilen Kriseninterventionsteams, die im humanitären Bereich, bei der Terrorismusbekämpfung und beim Katastrophenschutz im In- und Ausland ständig mit anderen Armeen zusammenarbeiten und Aufgaben erledigen, die weit mehr sind als nur klassische Landesverteidigung.

Natürlich gefällt es nationalen Regierungen, dass sie selber die Entscheidung treffen können, ob sie beispielsweise Saab-Kampfflugzeuge oder Eurofighter kaufen wollen. Trotzdem ist klar, dass eine gemeinsame Beschaffung der Militärtechnik gewaltige Einsparungspotenziale in Europa bringen würde. Sicher ist auch, dass sich kein europäisches Land in der Zukunft noch je allein verteidigen muss und kann.

All diese Herausforderungen 27- bald 28-mal einzeln anzugehen, wäre engstirnig, ineffizient und nicht zielorientiert.

... drei Probleme gemeinsam

Und das sind bloß die Sachzwänge. Es gibt aber noch einen ganz anderen Grund, Österreich stärker zu einem Teil der europäischen Sicherheitspolitik zu machen. Der Grund heißt Verantwortung. Die sogenannte Neutralität ist nicht nur kein sicherheitspolitisches Konzept für das 21. Jahrhundert mehr. Sie entspricht auch weder dem Geist der EU noch dem Buchstaben des Lissabon-Vertrages. Österreich ist nicht neutral, sondern massiv abhängig vom und interessiert am Wohlergehen der anderen Länder der EU.

Am 10. Dezember hat die EU - und damit Österreich und seine Nachbarländer - den Friedensnobelpreis bekommen. Gegen wen verteidigen wir uns da eigentlich? Die EU ist eine Solidargemeinschaft. Es entspräche nicht nur der Verantwortung Österreichs, sondern würde auch unsere militärische Sicherheit erhöhen, wenn wir uns endlich auch zum militärischen Schulterschluss in Europa bekennen und ihn ehrlich wagen würden.

Die Debatte darüber haben wir vor der Volksbefragung versäumt. Jetzt sollte sie geführt werden. Dazu brauchen wir dringend einen breiten Meinungsbildungsprozess in Österreich, basierend auf Fakten, nicht bloß Gefühlen. Es geht um eine staatspolitische, gesamteuropäische Frage. Der 20. Jänner hat die Systemfrage geklärt. Offen ist, was die Aufgaben, Ziele, Verpflichtungen und Kosten sind.

Verteidigungsminister Norbert Darabos sollte sich am ehemaligen ÖVP-Unterrichtsminister Theodor Piffl-Percevic ein Beispiel nehmen. Nachdem 1969 ein Volksbegehren erfolgreich war, das konträr zu der von ihm vertreten Position lag, trat er zurück und sagte: "Lieber als Minister fallen denn umfallen." (Othmar Karas, DER STANDARD, 30.1.2013)